Geht es eigentlich nur mir so, dass moderne GNU/Linux-Systeme für den Nutzer immer weniger beherrschbar werden? Früher, das heißt für mich vor 4-5 Jahren, war es relativ klar, welche Applikation oder welches Modul wofür verantwortlich ist und wo ich ansetzen muss, um ein Problem zu lösen. Die ganze FOSS-Software scheint jedoch mehr und mehr der modernen Softwaretechnologie erlegen zu sein und endlos Abstraktionsschichten übereinanderzustapeln, bis auch der letzte interessierte Nutzer die Finger vom manuellen Basteln lässt und es so zu ertragen versucht, wie er es geliefert bekommt.
Es sind viele persönliche Erfahrungen, aber auch die aus dem näheren Bekanntenkreis, die mich zu dieser Beobachtung verleiten. Ich besitze zum überall mit hinnehmen ein kleines ThinkPad X31 und stelle ausschließlich an diesen Rechner den Anspruch, immer vollständig einsatzbereit zu sein. Im Notfall weiß ich, dass ich mich auf dieses Gerät verlassen kann, wenn alle Stricke reißen und alle anderen Rechner den Geist aufgegeben haben, funktioniert das Ding und beherbegt alle Software, die ich zum Arbeiten brauche. Aus diesem Grund aktualisiere ich das darauf laufende Debian Testing alle 6-12 Monate, wenn ich sicher sein kann, dass ich es die nächsten Tage oder Wochen nicht dringend benötigen werde.
Grund hierfür ist, dass sogar unter Debian inzwischen jedes größere Update zu einem grundsätzlich kaputten System führt, da wieder jedes dritte Paket irgendwelche neuen Konventionen und Ideen einführt, die sich mit meinen unzähligen individuellen Anpassungen beißen. Nach dem letzten Update dieser Tage habe ich es z.B. aufgegeben, mein xtrlock-hibernate-xauthority-Problem auf saubere Weise mit eigenen Patches zu lösen und das zuständige hibernate-Skript einfach zurechtgehackt, bis es funktionierte. Das ist unsauber, aber inzwischen immer häufiger die einzige Möglichkeit, ohne Nervenzusammenbruch ein lauffähiges System zu erhalten. Von einem Kumpel, seines Zeichens Archlinux-Nutzer, erfahre ich immer ein paar Wochen im Voraus, was auf meinem Gentoo (dessen stable-Zweig zum Glück nicht immer topaktuell ist) in einigen Wochen nicht mehr laufen oder anderweitig Probleme bereiten wird.
KDE4 ist für mich in Sachen Abstraktionsschichten und Undurchschaubarkeit ein trauriger Höhepunkt. Entweder ich finde eine Option in einer der GUIs oder ich kann es sein lassen, da irgendwo manuell Hand anzulegen. Seien es Phonon, GStreamer oder Pulseaudio - funktioniert mit Glück, bei Problemen auf neue Version warten oder eine der Alternativen antesten. Darunter trifft man auf consolekit und HAL. HAL ist so großartig, dass Xorg nach seiner großflächigen Einführung schon darüber nachgedacht hat, es direkt wieder abzuschaffen. Mit all den Schichten und Frameworks hält natürlich auch die Bloatsuppe XML fleißig Einzug, denn es ist ja so toll maschinenlesbar (und grenzenlos ineffizient, sowie für Menschen nur schwer zu lesen). Der Linux-Kernel hat einen dicken Bug (oder eine Kombination aus mehreren, niemand weiß es), weshalb die I/O-Performance von x86-64-Systemen in den Keller sinkt, sobald die Platte linear eine größere Datenmenge lesen muss. Ist seit über einem Jahr bekannt, steht auf der Kernel-Mailingliste zur Diskussion und füllt Foren mit hunderten von Beiträgen, jedoch sehen die Macher in ihrem monolithischen Bloatkernel selbst nicht mehr durch und geben sich ratlos.
Ich weiß nicht, nennt mich altmodisch, aber ich habe mehr und mehr den Eindruck, dass in der FOSS-Welt gerade einiges gegen den Baum gefahren wird. Linux hält Einzug auf dem Desktop, viele haben bereits davon gehört oder benutzen es sogar (hin und wieder). Was stirbt, ist die Nutzergeneration, die noch Spaß am Basteln hatte und sich die Mühe machte, tief ins System einzutauchen und es perfekt auf die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Denn wenn ich das versuche, werden die nächsten drei Abstraktionsschichten zwei ältere ersetzen, meine individuellen Optionen nicht mehr bereitstellen, denn wer braucht Option X schon? "Friss oder stirb - benutze dein Ubuntu/Fedora/SuSE/... wie du es geliefert bekommst und beschwere dich nicht, wenn du die Standardkonfiguration anpasst und danach etwas nicht mehr funktioniert, denn wir sehen da selbst auch nicht mehr so richtig durch."
Oder wie es Tuomo V., Autor des genialen Fenstermanagers ion3, FOSS-Kritiker und inzwischen Windowsnutzer, zusammenfasste:
Tuomo Valkonen
In 1995, Linux was almost a bicycle; an alternative way of live to the Windows petrol beasts that had to be taken to the dealer for service.
By 2008, Linux has bloated into a gas-guzzler, and the cycle paths have been replaced with polluted motorways.
Wie seht ihr das?
Achja: Bevor hier jemand fragt, warum nicht einfach Windows nutzen - zum Arbeiten brauche ich einfach effizientes Fenstermanagement, meinen vim und eine Shell mit all ihren kleinen Tools, mit denen Alltagsaufgaben zum Kinderspiel werden.