Noch ein interessanter Beitrag von Götz Werner :
Das Dilemma
Einerseits steigern wir ständig die Produktivität unserer Wirtschaft. Die Folge ist, dass immer mehr Menschen, die vorwiegend durch Handarbeit, ob in der Landwirtschaft oder in der Industrie zur volkswirtschaftlichen Leistung beitragen, arbeitslos werden.
Dieses Dilemma besteht für mich - als Unternehmer - nur scheinbar. Es wird aber so lange eines bleiben wie das Einkommen an die Arbeit gekoppelt ist. Dass dieses Prinzip nicht aufrechterhalten werden kann, davon sprach schon der gerade verstorbene Peter Glotz. Er meinte gar, das Gerede von Vollbeschäftigung sei in Wirklichkeit ein Schweigegelübde des Establishments.
Tatsächlich leben heute in Deutschland bereits 15 Millionen Menschen von Erbschaften, Sozial- und Arbeitslosenhilfe, Schwarzarbeit oder von Zuwendungen Dritter. Jedenfalls nicht mehr durch die eigene Arbeitsleistung oder die eines Familienmitglieds.
Der Weg aus der Krise ist deshalb der Weg aus dem scheinbaren Dilemma - und nur zu gehen, indem wir Arbeit und Einkommen entkoppeln. Und das muss mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens verbunden sein.
Was bringt ein solches "bedingungsloses Grundeinkommen"?
Die Nettopreise sinken (

), da die Löhne und Gehälter teilweise durch das Grundeinkommen ersetzt werden. Da die gesunkenen Löhne und Gehälter kompensiert werden, bleibt aber die Kaufkraft des Einzelnen erhalten.
Zweitens kann der Staat die heute bereits bestehenden Transferleistungen und sonstigen Zahlungen an die Bürger einstellen. Zuschüsse an die Rentenkassen, Kapitaltransfer zwischen Arbeitsagentur und Krankenkassen, Kinder- und Wohngeld, Fahrtkostenzuschüsse und sonstige Subventionen fallen weg.
Und drittens werden Produkte, die für den Export bestimmt sind und derzeit durch die Ertrags- und Einkommenssteuern belastet werden, wesentlich billiger.
Mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens muss ergo eine radikale Steuerreform einhergehen. Deutschland braucht als Exportweltmeister und als postagrarische wie postindustrielle Gesellschaft in einer zunehmend grenzenlosen Weltwirtschaft eine Umstrukturierung des Steuersystems von der Ertragsbesteuerung auf eine den Verbrauch im Inland treffende Besteuerung des Realeinkommens - d.h. nicht die erbrachte Leistung soll versteuert werden sondern der Konsum. Diese Konsumbesteuerung bedeutet eine schrittweise Anhebung der Mehrwertsteuer bei gleichzeitiger und paralleler Senkung der Unternehmenssteuern.
All diejenigen, die darin einen Vorschlag zur Erhöhung der Unternehmergewinne vermuten, seien daran erinnert, dass sowieso alle Steuern in die so genannten Endverbraucherpreise mit einbezogen werden. D.h.: hohe Steuern bezahlt der Konsument auch heute schon mit höheren Preisen. Misstrauen dient der Sache also nicht.
In diesem Misstrauen spiegelt sich meines Erachtens ein negatives Menschenbild - und das scheint mir derzeit das Hauptproblem zu sein, das eine radikale Reform des Steuersystems verhindert. Während man davon ausgehen kann, dass die Entscheidungsträger von den bestehenden Strukturen profitieren, scheinen die Entscheidungsträger davon auszugehen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen die Arbeits- und Leistungsbereitschaft der Menschen erlahmen lässt.
Zukunft der Arbeit
Ich aber gehe davon aus, dass ein Grundeinkommen dazu führt, dass sich die Bürger keinen Einkommensplatz mehr suchen müssen, bei dem sie Aufgaben bewältigen, die ihren tatsächlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten gar nicht entsprechen, sondern dass sie einen Arbeitsplatz suchen können, bei dem sie die Möglichkeit finden, ihre tatsächlichen persönlichen Potenziale zur Entfaltung zu bringen. Das hätte zur Konsequenz, dass zunehmend nur noch Arbeitsplätze gesucht würden, die man als sinnvoll akzeptiert, weil sie erstens der eigenen Intention entsprechen und weil diese Arbeitsplätze zweitens den allgemeinen moralischen Anforderungen an einen Arbeitsplatz entsprächen.
Es würde aber auch ein enormes Potenzial entstehen für dann bezahlbare Arbeit am und für die Menschen, ob es sich dabei um Pflegedienste für Ältere und Kranke, um Bildungsaufgaben oder um Aufgaben im Kulturleben handelt.
Freiräume durch garantierte Grundeinkommen
Und nicht zuletzt erwarte ich als Unternehmer eine deutliche Stimulierung von Selbstorganisation und Selbstverantwortung. Es fände keine staatliche Subventionierung von "Ich-AGs" statt, sondern es würden unternehmerische Initiativen ermöglicht, weil der Staat den Bürgern die Freiräume schaffen würde, sich selbst zu unternehmen.
Es ist doch eine objektive Tatsache, dass jegliche unter dem Prinzip der Arbeitsteiligkeit geleistete Arbeit eine Leistung ist, die man nicht für sich erbringt, wie es der Begriff der Ich-AG suggeriert, sondern dass diese Leistung für andere erbracht wird. Somit beruht Wirtschaft auf einem ständigen Wechselprozess füreinander erbrachter Leistungen, also auf einem umfassenden, gegenseitigen Füreinander-Leisten.
Da Volkswirtschaft ein organisiertes Füreinander-Leisten ist, muss die Einkommens-, Sozial- und Steuerpolitik genau so ausgerichtet sein, dass sie dieses Organisieren bestmöglichst begünstigt.
Ich meine, dass dies nur dann möglich ist, wenn wir durch garantierte Grundeinkommen diese Freiräume eröffnen, wenn wir den Menschen zutrauen, dass sie gescheit und verantwortungswillig ihren Beitrag leisten wollen und wenn wir akzeptieren, dass unsere deutsche Volkswirtschaft mit ihren modernen Produktionsmethoden in der Lage ist, ausreichende Einkommen für alle Bürger zu erwirtschaften und alle Menschen in Deutschland behaglich und sicher leben können. - Und dies, ohne die fragwürdige Pflicht zur Arbeit und ohne die vermeintliche Schande, arbeitslos zu sein.
[Quelle :
MDR]