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31

Saturday, February 11th 2012, 12:05pm

Jemanden vorzuwerfen, dass er mit seinen Aussagen vor 250 Jahren einer heute nicht einmal vorherrschenden, weil ziemlich begrenzten und im Kern durch die Methoden bedingte, Wissenschaftsdefinition nicht genügt, zeugt auch nicht gerade von Stil und Verstand. Nicht umsonst werden Leute wie Smith, Bentham, Ricardo etc. ja nicht nur Ökonomen genannt, sondern eben auch Moralphilosophen. Das ist ja genau Rommels Argument, diese Trennung von Philosophie/Geisteswissenschaften und den Sozialwissenschaften ist eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Sie ist aber weder vollständig noch ist abschließend klar, ob sie es jemals sein wird bzw. überhaupt sein kann.

Es ist qualitativ übrigens auch kein Unterschied, ob man sich als Sozialwissenschaftler nun einseitig der geistes- oder naturwissenschaftlicher Logik hingibt und die entsprechenden Methoden verwendet, beides ist m.M.n. nicht wirklich sinnvoll, weil dem Untersuchungsgegenstand "Gesellschaft" unangemessen. Wenn für dich, Worf, also nur testbare bzw. falsifizierbare Aussagen wissenschaftliche Aussagen sind, dann hättest du Physik studieren sollen. In den Sozialwissenschaften muss man sich (leider) manchmal damit abfinden, dass eine Aussage nur in einem gewissen Kontext galt, der nicht mehr reproduzierbar ist, weil Gesellschaft ja gerade über den Schnittpunkt von Politik und heute Wirtschaftswissenschaften, früher Soziologie und Politikwissenschaften, unmittelbar auf medial verbreitete Ergebnisse reagiert und sich ggf. verändert und anpasst.

32

Saturday, February 11th 2012, 12:40pm

Finde vor allem deine Aussagen bzgl. (Post-)Strukturalismus und Konstruktivismus irgendwie vollkommen unsinnig Worf. Schließlich entstanden die in den Sozialwissenschaften genau aus dem Grund, weil "einfache" Theorien und Wirkungszusammenhänge immer nur fallabhängig galten und in anderen Situationen einfach nachvollziehbar nicht zutrafen, sondern dafür eben andere Wirkungszusammenhänge offensichtlich vorherrschend waren. Postmoderne Theorien sind ja im Grunde, auch wenn sie nicht als solche bezeichnet werden, das Eingeständnis der Sozialwissenschaften, dass ein klar umrissenes, funktionierendes Modell der Realität bisher aus unterschiedlichen Gründen nicht mal annähernd in Reichweite ist. Um den Schwenk zu den Naturwissenschaften zu machen, auch wenn der Vergleich sicher (wie du sicherlich ausführen wirst, sonst wärst du nicht Worf...) an manchen Stellen hinkt: Die Zusammenführung von Quanten- und Relativitätstheorie hat bisher ja auch noch keinen Durchbruch erfahren, obwohl seit Jahrzehnten daran gearbeitet wird. Und da sind ja, auch wenn sie natürlich unglaublich komplex sind, im Grunde "nur" zwei Wirkungszusammenhänge, die zusammengeführt werden müssen. In den Sozialwissenschaften müssen ja viel mehr Wirkungszusammenhänge vereinigt werden. Selbst wenn das rein mathematisch/empirisch gelöst werden kann, was ich einfach entschieden ablehne: Mit welcher methodischen Herangehensweise soll das bitte funktionieren?

Und was mich am meisten stört ist nicht unbedingt die Tatsache, dass du manchen Strömungen der Geistes- oder Sozialwissenschaften die Wissenschaftlichkeit absprichst (wo ich zustimme, was ich aber ehrlich gesagt nicht wirklich für relevant halte), sondern dass du (vor allem im Thread davor) mit einer Polemik über die Akademiker aus diesen Fachrichten herziehst, die einfach unangebracht ist - unabhängig davon, ob das jetzt ganz ernst gemeint war oder nicht. Welche Errungenschaften für das menschliche Zusammenleben, außer die so wichtige Stützung des BIP, haben denn puristische Naturwissenschaftler oder Ingenieure gebracht? Wenn du Mehrwert für die Gesellschaft mit monetärer Wertschöpfung gleichsetzt, kann ich deine Argumentation nachvollziehen, halte sie aber für zynisch.
<@OoK_Isch> och wisst ihr was?
<@OoK_Isch> ihr könnt mich mal gern haben
@OoK_Isch (Isch@ACB4959F.ipt.aol.com) has left #mastersgames.de (Ciao)

Kastor

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33

Saturday, February 11th 2012, 1:07pm

Und was mich am meisten stört ist nicht unbedingt die Tatsache, dass du manchen Strömungen der Geistes- oder Sozialwissenschaften die Wissenschaftlichkeit absprichst (wo ich zustimme, was ich aber ehrlich gesagt nicht wirklich für relevant halte), sondern dass du (vor allem im Thread davor) mit einer Polemik über die Akademiker aus diesen Fachrichten herziehst, die einfach unangebracht ist - unabhängig davon, ob das jetzt ganz ernst gemeint war oder nicht. Welche Errungenschaften für das menschliche Zusammenleben, außer die so wichtige Stützung des BIP, haben denn puristische Naturwissenschaftler oder Ingenieure gebracht? Wenn du Mehrwert für die Gesellschaft mit monetärer Wertschöpfung gleichsetzt, kann ich deine Argumentation nachvollziehen, halte sie aber für zynisch.
Ich würde ja auch Zustimmen, dass manche Teile von Geisteswissenschaftlichen Strömungen nicht wissenschaftlich sind. Aber nur weil einige Teile nicht wissenschaftlich sind, oder ein Großteil der Geisteswissenschaftler Worfs Meinung nach die falschen oder unsinnige Fragen stellt, kann man nicht den Geisteswissenschaften per se die Wissenschaftlichkeit absprechen - und dann aber noch behaupten bei Sozialwissenschaften wäre es anders - ohne überhaupt eine gute und allgemeingültige Trennlinie zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften zu finden und zu definieren, und zwar so, dass dann Geisteswissenschaften oder Teile einer Strömung in nicht doch in die Sozialwissenschaft rutschen. So eine Sichtweise ist einfach max. beschränkt - und die Polemik oben drauf ist auch unangebracht.

Und relevant ist im Prinzip alles, was nicht nur für den Forscher alleine als sinnvoll erachtet wird. Ob das nur 1% oder 90% der Gesellschaft sind, soll mal egal sein.

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34

Saturday, February 11th 2012, 6:21pm

Jemanden vorzuwerfen, dass er mit seinen Aussagen vor 250 Jahren einer heute nicht einmal vorherrschenden, weil ziemlich begrenzten und im Kern durch die Methoden bedingte, Wissenschaftsdefinition nicht genügt, zeugt auch nicht gerade von Stil und Verstand.

Rein wissenschaftlich ist aber egal, ob es große, bekannte Namen sind. Nach heutigen Standards sind es eben recht schlechte wissenschaftliche Theorien. Dies schmälert ja nichts an ihren historischen Verdiensten. So ist eben der Lauf der Welt. Aber das gute an der Wissenschaft ist ja auch, dass es keine Ikonenverehrung gibt (geben sollte).
Nicht umsonst werden Leute wie Smith, Bentham, Ricardo etc. ja nicht nur Ökonomen genannt, sondern eben auch Moralphilosophen. Das ist ja genau Rommels Argument, diese Trennung von Philosophie/Geisteswissenschaften und den Sozialwissenschaften ist eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Sie ist aber weder vollständig noch ist abschließend klar, ob sie es jemals sein wird bzw. überhaupt sein kann.

Sicher, gegen den ersten Teil sage ich ja auch nichts. Und ob etwas vollkommen oder abschließend ist, kann man bei diesen Fragen eh nicht sinnvoll klären, dieser Satz enthält also nicht wirklich Information. Ansonsten ist die Historie nicht sonderlich wichtig für das aktuelle Wissen. Es ist wichtig um zu verstehen wie es dazu kam und vor welchem Hintergrund und in welchem Kontext bestimmte Theorien entstanden sind. Aber letztlich kann man jede Theorie danach bewerten, wie gut sie die Realität erklärt. Dafür ist letztlich egal, wie man auf die Theorie kam, dies ist nicht Bestandteil einer Theorie.
Es ist qualitativ übrigens auch kein Unterschied, ob man sich als Sozialwissenschaftler nun einseitig der geistes- oder naturwissenschaftlicher Logik hingibt und die entsprechenden Methoden verwendet, beides ist m.M.n. nicht wirklich sinnvoll, weil dem Untersuchungsgegenstand "Gesellschaft" unangemessen.

Wie kommst du dazu zu behaupten, zwischen beiden Varianten bestehe qualitativ kein Unterschied? Dies ist in einer diskreten Metrik vielleicht eine sinnvolle Aussage, aber sicher nicht in allen denkbaren.
Das Problem ist ja gerade, dass man die Qualität wissenschaftlicher Aussagen irgendwie messen muss, um sinnvoll sagen zu können welche von zwei Theorien besser ist. Dies geht in einem geisteswissenschaftlichen Umfeld denkbar schlecht, d.h. für solche Methoden gibt es keine/kaum eine Ordnung, welche nicht letztlich beliebig wäre.
Wenn man einen sehr harten Skeptizismus einmal außen vor lässt, so ist der Charme eines naturwissenschaftlichen Ansatzes doch gerade, dass er eine Methode mitliefert, wie man die Qualität von Aussagen messen kann!

Was sind denn konkrete Argumente, wieso man den Untersuchungsgegenstand "Gesellschaft" nicht (einseitig) mit testbaren Aussagen fassen kann? Dies würde mich wirklich interessieren.
Wenn für dich, Worf, also nur testbare bzw. falsifizierbare Aussagen wissenschaftliche Aussagen sind, dann hättest du Physik studieren sollen. In den Sozialwissenschaften muss man sich (leider) manchmal damit abfinden, dass eine Aussage nur in einem gewissen Kontext galt, der nicht mehr reproduzierbar ist, weil Gesellschaft ja gerade über den Schnittpunkt von Politik und heute Wirtschaftswissenschaften, früher Soziologie und Politikwissenschaften, unmittelbar auf medial verbreitete Ergebnisse reagiert und sich ggf. verändert und anpasst.

Ersteres ja. ;) Aber daraus würde ich nicht schlussfolgern, dass ich hätte Physik studieren müssen. Ich würde eher diese imho überlegende Methodologie auch auf andere Bereiche anwenden. Und wenn ich mir diesen Bereich der Forschung anschaue, wo physikalische Methodologie und Methodik auf wirtschaftswissenschaftliche Fragestellungen angewendet wird, so muss ich sagen das liefert unglaublich gute Ergebnisse, welche praktisch keine normativen Aussagen bzgl. menschenbild oder ähnlichem brauchen. In 10 Jahren hat man Probleme gelöst, an welcher die klassischen Wirtschaftswissenschaften sich die Zähne ausgebissen haben, m.E. ein guter Beleg für die Überlegenheit dieser Art Wissenschaft zu betreiben.

Ansonsten wird von den Sozialwissenschaftlern immer wieder angeführt, dass der Untersuchungsgegenstand reflexiv ist. Aber was dies für konkrete Auswirkungen in konkreten Modellen hat, dies wird kaum gesagt. Vielleicht kannst du es mir sagen?
Das gewisse Aussagen nur in einem bestimmten Kontext gelten ist imho überhaupt keine Einschränkung. Dies ist überall so, da ein Modell nur ein vereinfachtes Abbild der Wirklichkeit ist, d.h. nur konditional zu den Modellannahmen exakt gilt. Letztlich, wie ich schon kurz angerissen habe, äußert sich Reflexivität in einer veränderten Systemdynamik. Dann kann man sicher empirisch, oder auch via Annahme, Beschränkungen an diese Veränderung der Systemdynamik haben, so dass man diese Veränderung auch quantifizieren kann. Eventuell kann man auch einen Skalenbereich angeben, in welchen Aussagen gut zutreffen. Bestimmte Makrophänomene sind halt recht stabil gegen Reflexivität, wenn es keine diskreten Systemumbrüche gibt (Atombombe, Weltkrieg etc., klar).
Aber letztlich sehe ich keinen Grund, wieso man keine konditionalen Aussagen machen können soll. Diese sind dann natürlich nur eingeschränkt testbar, was aber immer noch besser ist als keine Testbarkeit. Außerdem werden die Konditionalen Annahmen in guten Modellen trivial zu prüfen sein. Ich denke, die typischen Fragestellungen auf typischen Zeitskalen bleiben wohldefiniert, trotz Reflexivität. Wissenschaft ist ja auch etwas sehr dynamisches, welche sich sehr schnell mit ihren Aussagen an Veränderungen anpasst.

Du kannst dazu aber gern schreiben, wieso du es anders siehst.

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35

Saturday, February 11th 2012, 6:24pm

Finde vor allem deine Aussagen bzgl. (Post-)Strukturalismus und Konstruktivismus irgendwie vollkommen unsinnig Worf. Schließlich entstanden die in den Sozialwissenschaften genau aus dem Grund, weil "einfache" Theorien und Wirkungszusammenhänge immer nur fallabhängig galten und in anderen Situationen einfach nachvollziehbar nicht zutrafen, sondern dafür eben andere Wirkungszusammenhänge offensichtlich vorherrschend waren. Postmoderne Theorien sind ja im Grunde, auch wenn sie nicht als solche bezeichnet werden, das Eingeständnis der Sozialwissenschaften, dass ein klar umrissenes, funktionierendes Modell der Realität bisher aus unterschiedlichen Gründen nicht mal annähernd in Reichweite ist.

Mit sinnvollen Fragestellungen und heutigen Methoden sehe ich nicht, wieso Theorien nur fallabhängig gelten sollen. Im Gegenteil, über einen Einzelfall kann ich eigentlich nichts aussagen, weil man an ihm alleine keine Gesetzmäßigkeit feststellen kann. Man kann ja nicht trennen zwischen "musste so sein" und "war nur hier (zufällig) so". Dafür brauche ich mehrere, vergleichbare Instanzen - auch schon, damit die Frage überhaupt sinn macht bzw. sinnvoll beantwortet werden kann.

Das große Problem, welches ich bei den angesprochenen Theorien sehe ist, dass man den Kern der Wissenschaftlichkeit aufgibt. Ich kann dabei beim besten Willen keine Verbesserung sehen, im Gegenteil, damit wird Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet.
Deine gesamte Erklärung für den Bedarf an diesen neuen Denkschulen finde ich auch komisch. Man hat also überhaupt keine Modelle gefunden, welche die Fragen beantworten kann - anstatt dann einen Schritt zurück zu gehen und erst einmal zu beantworten, was geht, d.h. weniger detailreich zu sein, gibt man auf überhaupt etwas generell (konditional, s.o.) beantworten zu können, ja zudem gibt man noch auf, sinnvoll über richtig und falsch sprechen zu können und kritisiert sogar den Gedanken an eine von Theorien unabhängigen Existenz einer Realität, welche es zu beschreiben gilt.
Letztlich sind diese Denkansätze zu reinen Literaturwissenschaften verkommen. Der Anwender muss eigentlich nichts mehr über den Gegenstand selbst wissen. Überspitzt gesagt, "da alles Schrift ist" reicht es, nur die Arbeiten über ein Thema zu lesen und dann eine Art Literaturanalyse zu betreiben. So kommt mir zumindest die Anwendungspraxis der genannten Strömungen vor.

Du kannst aber gern erklären, wie du es siehst. Würde mich sehr interessieren.
Um den Schwenk zu den Naturwissenschaften zu machen, auch wenn der Vergleich sicher (wie du sicherlich ausführen wirst, sonst wärst du nicht Worf...) an manchen Stellen hinkt: Die Zusammenführung von Quanten- und Relativitätstheorie hat bisher ja auch noch keinen Durchbruch erfahren, obwohl seit Jahrzehnten daran gearbeitet wird. Und da sind ja, auch wenn sie natürlich unglaublich komplex sind, im Grunde "nur" zwei Wirkungszusammenhänge, die zusammengeführt werden müssen. In den Sozialwissenschaften müssen ja viel mehr Wirkungszusammenhänge vereinigt werden. Selbst wenn das rein mathematisch/empirisch gelöst werden kann, was ich einfach entschieden ablehne: Mit welcher methodischen Herangehensweise soll das bitte funktionieren?

Man sollte hier mehrere Dinge auseinander halten: Modelle beschreiben nur die Realität, die Realität ist nicht tatsächlich so, wie das Modell aussagt. Je nach Fragestellung machen andere Modelle Sinn. Bei unterschiedlichen Fragestellungen müssen diese Modelle nicht unbedingt miteinander kompatibel sein, wenngleich dies natürlich schöner wäre. Der einfache parabelwurf beschreibt ganz gut die Flugbahn eines Balles, wenngleich ich dafür theoretisch auch Quantenmechanik verwenden könnte, um die einzelnen Teilchen und deren Wechselwirkungsweisen alle direkt zu beschreiben. Trotzdem ist der einfache Parabelwurf ein gutes Modell, da einfach.

Man wird sicher irgendwann auch eine vereinheitlichte Theorie finden, wo dann wieder andere Theorien inkompatibel zu bleiben. Dies liegt ind er Natur der Sache bedingt, weil neue Theorien auch neue Perspektiven und damit auch neue Fragestellungen mit sich bringen.

Etwas anderes: In der Physik ist man gewöhnt, nach einem Koordinatensystem zu suchen, in welchem der zu beschreibende Sachverhalt möglichst einfach ist. Ich halte dieses Denkmodell für sehr entscheidend für den Erfolg in der Physik (oder Mathematik).
In den Sozialwissenschaften kennt man dieses Bild kaum, d.h. man versucht großteils die Phänomene in dem Koordinatensystem zu modellieren, in welchem wir sie natürlich sehe. Im richtigen Koordinatensystem entkoppeln viele Wirkungszusammenhänge, der ehemals sehr komplexe Sachverhalt wird sehr einfach. Erste Beispiele lernt jeder kennen, der 2-3 Vorlesungen höhere Mathematik an der Uni gehabt hat, d.h. alles über normaler BWLer-Mathematik. Vieles mag unglaublich komplex erscheinen, weil wir die falsche Perspektive darauf haben. Im übrigen ist dies auch der Fall in der Forschung, welche ich betreibe. Ich verwende eine für Wirtschaftswissenschaftler sehr neue Perspektive und kann damit Dinge einfach darstellen, woran man vorher nie denken konnte.

Als letztes: In der Wissenschaft muss man sich davon lösen nach dem "warum" zu fragen. Das "wie" ist entscheidend. Mein altes Beispiel: Warum fällt ein Apfel, wenn ich ihn über dem Erdboden loslasse? Schwerkraft! Damit weiß ich aber eigentlich überhaupt nichts über den Apfelfall, es ist nur ein Wort oder eine Idee. Aber wenn ich das Fallgesetz habe und h(t) = h_0 - 0.5*g*t^2, so weiß ich (näherungsweise) eigentlich alles über den freien Fall, was es zu wissen gibt. zu jedem Zeitpunkt weiß ich, wo sich der Apfel aufhält, wie schnell er ist etc. Was den Apfel dazu veranlasst sich so zu verhalten, dass ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage. Dafür gibt es im eigentlichen Sinn auch keine guten wissenschaftlichen Theorien, sondern Denkkonzepte (wir Menschen brauchen so etwas, um gut Denken zu können). Der eigentliche Kern sind die postulierten Formeln, welche die Wirkungszusammenhänge quantifizieren und so testbar machen. Dies ist belastbares Wissen.
Abgeschwächt kann man so imho überall vorgehen, auch in den Sozialwissenschaften. Man muss die Realität beschreiben, das "warum" führt eher von dem Weg, was wir sinnvoll Wissen können.
Wenn man natürlich die falschen Fragen stellt, kann man auch nicht erwarten systematisch richtige Antworten zu bekommen.
Und was mich am meisten stört ist nicht unbedingt die Tatsache, dass du manchen Strömungen der Geistes- oder Sozialwissenschaften die Wissenschaftlichkeit absprichst (wo ich zustimme, was ich aber ehrlich gesagt nicht wirklich für relevant halte), sondern dass du (vor allem im Thread davor) mit einer Polemik über die Akademiker aus diesen Fachrichten herziehst, die einfach unangebracht ist - unabhängig davon, ob das jetzt ganz ernst gemeint war oder nicht. Welche Errungenschaften für das menschliche Zusammenleben, außer die so wichtige Stützung des BIP, haben denn puristische Naturwissenschaftler oder Ingenieure gebracht? Wenn du Mehrwert für die Gesellschaft mit monetärer Wertschöpfung gleichsetzt, kann ich deine Argumentation nachvollziehen, halte sie aber für zynisch.

Gerade in den Sozialwissenschaften könnte man imho viele echt wissenschaftliche Fragen bearbeiten, nur wird es viel zu wenig gemacht. Man schreibt stattdessen Bücher über andere Bücher. Gerade in Deutschland diskutiert man hochgradig normativ, im anglo-amerikanischen Raum sind die Sozialwissenschaften viel empirischer. Die Deutschen haben da weitgehend den Anschluss verloren.
Ansonsten meine ich ernst, was ich hier geschrieben habe. Ich denke Geisteswissenschaftler schaffen zum Großteil kein echtes Wissen. Sie verlieren sich im Diskurs untereinander. Die Mathematik als Geisteswissenschaft hatte sich Ausgang des 19. Jahrhunderts strenge Regeln gegeben um weiterhin entscheiden zu können, was als richtig oder falsch zu gelten hat, nachdem sie vorher in eine große Krise gestürzt war.
Bei den Geisteswissenschaften scheint mir das Ziel von Wissenschaft aus den Augen verloren gegangen zu sein, sie entwickeln auch kein leistungsfähiges Instrumentarium, um den Wahrheitsgehalt von Aussagen zu messen. Aber was ist dann der Punkt einer Diskussion, außer wiederum nur der Diskurs selbst? Man dreht sich nur noch um sich selbst oder diskutiert über prinzipiell nciht entscheidbare Fragen )ohne dies zu merken oder sich daran zu stören).

Ansonsten ist fast alles Erfahrungswissen, über welches wir als modernes Menschen verfügen, ein naturwissenschaftliches. Zement, Sand und Wasser werden an der Luft recht schnell fest, Wunden sollte man reinigen, damit sie sich nicht entzünden etc., alles ist Wissen über die reale Welt. Ideen wie Demokratie, Eigentum, Staatsangehörigkeit sind geisteswissenschaftlich und zweifellos auch wichtig für eine moderne Gesellschaft, aber bei all den Wirkungszusammenhängen, welche wir über die Welt wissen ist es doch der verschwinden geringe Teil.

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Saturday, February 11th 2012, 6:24pm

Ich würde ja auch Zustimmen, dass manche Teile von Geisteswissenschaftlichen Strömungen nicht wissenschaftlich sind. Aber nur weil einige Teile nicht wissenschaftlich sind, oder ein Großteil der Geisteswissenschaftler Worfs Meinung nach die falschen oder unsinnige Fragen stellt, kann man nicht den Geisteswissenschaften per se die Wissenschaftlichkeit absprechen - und dann aber noch behaupten bei Sozialwissenschaften wäre es anders - ohne überhaupt eine gute und allgemeingültige Trennlinie zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften zu finden und zu definieren, und zwar so, dass dann Geisteswissenschaften oder Teile einer Strömung in nicht doch in die Sozialwissenschaft rutschen. So eine Sichtweise ist einfach max. beschränkt - und die Polemik oben drauf ist auch unangebracht.

Wieso denn? Ich bin ja von einem Wissenschaftlichkeitsbegriff ausgegangen. Kann es denn irgendein Wissen geben, welches ich als Wahr erkennen kann, ohne Bezug auf die reale Welt zu nehmen? Was bedeutet es denn überhaupt für eine Aussage, "wahr" zu sein? Wie kann ich feststellen, ob eine Aussage (entweder über eine andere Aussage, oder über die reale Welt) wahr ist oder nicht?

Dies sind doch die grundlegenden Fragen, welche man sich als erstes Stellen muss. Ich finde es unsinnig Wissenschaft als Anwendung bestimmter Methodik zu erklären bzw. als alles, was in Universitäten gemacht wird. Siehe dazu der Vortrag über Cargo Cult Science von Feymann.
Natürlich kann man meine obigen Fragen unterschiedlich beantworten. Ich finde meine Antworten am sinnvollsten, sonst hätte ich sie ja nicht. :P Daraus leitet sich dann auch recht direkt ab, wie man Wissenschaft betreiben sollte bzw. was alles echte Wissenschaft nicht - und was nicht.
Mathematik fällt bspw. auch als echte Wissenschaft raus, genauso wie Philosophie. Beides mag ich sehr, beide stellen interessante Fragen bzw. finden darauf interessante Antworten. Es muss ja nicht alles Wissenschaft sein, was interessant ist.

37

Saturday, February 11th 2012, 7:37pm

T-T-T-Tripplepost

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Saturday, February 11th 2012, 7:58pm

tl:dr


Dieser Thread ist ja mittlerweile schon länger als die meisten von mir.

Abgesehen davon juckts doch ehh keinen ob das jetzt wissenschaftliche Arbeit oder eierwackelndes rumgedödel ist.
Solang die als Taxifahrer unterwegs sind, machen die sich immerhin teilweise nützlich.

Gibt auch haufenweise andere Menschen die vor sich hin dödeln und nichts produktives machen, ob nun z.B. in den Kirchen, im Bundestag mit ihren Ipads oder im öffentlichen Dienst bei den 2h Kaffeepausen, gefolgt von den 30 Min Raucherpausen.

Kastor

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39

Saturday, February 11th 2012, 8:16pm

Ich würde ja auch Zustimmen, dass manche Teile von Geisteswissenschaftlichen Strömungen nicht wissenschaftlich sind. Aber nur weil einige Teile nicht wissenschaftlich sind, oder ein Großteil der Geisteswissenschaftler Worfs Meinung nach die falschen oder unsinnige Fragen stellt, kann man nicht den Geisteswissenschaften per se die Wissenschaftlichkeit absprechen - und dann aber noch behaupten bei Sozialwissenschaften wäre es anders - ohne überhaupt eine gute und allgemeingültige Trennlinie zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften zu finden und zu definieren, und zwar so, dass dann Geisteswissenschaften oder Teile einer Strömung in nicht doch in die Sozialwissenschaft rutschen. So eine Sichtweise ist einfach max. beschränkt - und die Polemik oben drauf ist auch unangebracht.

Wieso denn? Ich bin ja von einem Wissenschaftlichkeitsbegriff ausgegangen. Kann es denn irgendein Wissen geben, welches ich als Wahr erkennen kann, ohne Bezug auf die reale Welt zu nehmen? Was bedeutet es denn überhaupt für eine Aussage, "wahr" zu sein? Wie kann ich feststellen, ob eine Aussage (entweder über eine andere Aussage, oder über die reale Welt) wahr ist oder nicht?

Dies sind doch die grundlegenden Fragen, welche man sich als erstes Stellen muss. Ich finde es unsinnig Wissenschaft als Anwendung bestimmter Methodik zu erklären bzw. als alles, was in Universitäten gemacht wird. Siehe dazu der Vortrag über Cargo Cult Science von Feymann.
Natürlich kann man meine obigen Fragen unterschiedlich beantworten. Ich finde meine Antworten am sinnvollsten, sonst hätte ich sie ja nicht. :P Daraus leitet sich dann auch recht direkt ab, wie man Wissenschaft betreiben sollte bzw. was alles echte Wissenschaft nicht - und was nicht.
Mathematik fällt bspw. auch als echte Wissenschaft raus, genauso wie Philosophie. Beides mag ich sehr, beide stellen interessante Fragen bzw. finden darauf interessante Antworten. Es muss ja nicht alles Wissenschaft sein, was interessant ist.
Und wo war jetzt dein Definition von Wissenschaft bzw. Wissen? Sorry falls ichs übersehen hab, bitte den Link zum Post posten. Aber schon lustig, wenn du Mathematik als nicht wissenschaftlich nennst (weils ja nach deiner Definition kein Wissen schaft), aber andere Wissenschaften dann auf die Mathematik zurückgreifen müssen. Ist ja schon max wissenschaftlich, wenn der Unterbau nicht wissenschaftlich ist.

Edit: Dummbes Geblubber entfernt.

Selbst wenn die Mathematik nur Hilfswissenschaft für die Naturwissenschaft wäre, wäre sie dennoch Wissenschaft, da sie die Methoden und Modelle der Naturwissenschaft mitentwickelt und die Welt, die dann falsifizierbar bzw. verifizierbar sind.

Und was Cargo Cult Science jetzt unbedingt nur mit Geistes- und Sozialwissenschaften zu tun hat weiß ich auch nicht. Das ganze passiert auch bei Naturwissenschaften.

Ich stimme dir btw. bei vielen Dingen zu (z.B. nach dem "wie" zu fragen, und nicht "warum"?). Nur widersprichst du dir selber bzw. machen deine Pauschalisierungen und Einordnungen von wissenschaftlich und nicht wissenschaftlich einfach keinen Sinn. Über den Sinn und Unsinn von einem Philosophiestudium und anschließender Taxifahrerkarriere gehts hier nicht.

This post has been edited 1 times, last edit by "Kastor" (Feb 11th 2012, 8:58pm)


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Saturday, February 11th 2012, 8:33pm

Nur kurz: Mathematik ist liefert nur die Sprache und die Methoden. Diese selbst sind nicht wissenschaftlich, man benötigt sie allerdings, um Theorien durch sie auszudrücken etc.

Mathematik hat keinen Realweltbezug, d.h. man kann mathematische Theoreme niemals anhand Sachverhalte der realen Welt beweisen. Dafür gibt es in der Mathematik den Induktionsbeweis, den es so rein nur in der Theorie geben kann, siehe Induktionsproblem. In der Mathematik zeigt man immer nur bei einem Beweis, dass die Aussage logisch aus den Axiomen folgt, d.h. konsistent in alles bisher erreichte passt. Was in der realen Welt vorgeht ist in der Mathematik vollkommen egal. Als recht pure Logik gewinnt man aber eine enorm leistungsfähige Sprache, welche in der Modellwelt ihre Leistungsfähigkeit zeigen kann.
Wenn man Wahrheit nicht nur als Konsistenz im eigenen Kontext betrachtet, sondern es für diese Entscheidung Evidenz aus der Realität geben muss, dann kann man keine mathematische Aussage als "wahr" oder "falsch" entscheiden.

Deine sonstigen Schlüsse wirken konfus bzw. ich verstehe nicht, auf was du hinaus willst. Die Prämisse deines Schlusses, dass man nur aus etwas wissenschaftlichem etwas anderes wissenschaftliches Folgern kann, ist schon nicht sinnvoll. Das kann man auf Kategorientheorie zurückführen bzw. auf das philosophische Problem der Aussagen über Aussagen.
Was studierst du eigentlich?

Der Punkt bei Cargo Cult Science ist nicht, ob es irgendwo auch Negativbeispiele gibt - die wird es sicher in jedem Feld geben. Allerdings in unterschiedlicher Häufigkeit!
Insgesamt geht es aber um einen Streit der Methodologie, und die Naturwissenschaften sind in ihrem Selbstverständnis recht immun gegen die negativen Aspekte, welche Feyman aufzählt. Daher ist es für die Naturwissenschaften nicht wirklich relevant.

Deinem letzten Satz stimme ich zu, Attila hat das nicht ganz verstanden.

Kastor

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Saturday, February 11th 2012, 9:17pm

Nur kurz: Mathematik ist liefert nur die Sprache und die Methoden. Diese selbst sind nicht wissenschaftlich, man benötigt sie allerdings, um Theorien durch sie auszudrücken etc.

Mathematik hat keinen Realweltbezug, d.h. man kann mathematische Theoreme niemals anhand Sachverhalte der realen Welt beweisen. Dafür gibt es in der Mathematik den Induktionsbeweis, den es so rein nur in der Theorie geben kann, siehe Induktionsproblem. In der Mathematik zeigt man immer nur bei einem Beweis, dass die Aussage logisch aus den Axiomen folgt, d.h. konsistent in alles bisher erreichte passt. Was in der realen Welt vorgeht ist in der Mathematik vollkommen egal. Als recht pure Logik gewinnt man aber eine enorm leistungsfähige Sprache, welche in der Modellwelt ihre Leistungsfähigkeit zeigen kann.
Wenn man Wahrheit nicht nur als Konsistenz im eigenen Kontext betrachtet, sondern es für diese Entscheidung Evidenz aus der Realität geben muss, dann kann man keine mathematische Aussage als "wahr" oder "falsch" entscheiden.

Deine sonstigen Schlüsse wirken konfus bzw. ich verstehe nicht, auf was du hinaus willst. Die Prämisse deines Schlusses, dass man nur aus etwas wissenschaftlichem etwas anderes wissenschaftliches Folgern kann, ist schon nicht sinnvoll. Das kann man auf Kategorientheorie zurückführen bzw. auf das philosophische Problem der Aussagen über Aussagen.
Was studierst du eigentlich?

Der Punkt bei Cargo Cult Science ist nicht, ob es irgendwo auch Negativbeispiele gibt - die wird es sicher in jedem Feld geben. Allerdings in unterschiedlicher Häufigkeit!
Insgesamt geht es aber um einen Streit der Methodologie, und die Naturwissenschaften sind in ihrem Selbstverständnis recht immun gegen die negativen Aspekte, welche Feyman aufzählt. Daher ist es für die Naturwissenschaften nicht wirklich relevant.

Deinem letzten Satz stimme ich zu, Attila hat das nicht ganz verstanden.
Sorry für das etwas konfuse bzw. die teilweise falschen Begriffe, hab gerade nicht den Nerv dafür, hier alles 100% korrekt auszuformulieren.

Was ich meinte ist folgendes: Wenn ich einen Apfel und noch nen Apfel habe, dann hab ich keine zwei Äpfel? Lässt sich dann ein mathematisches Theorem nicht als Modell umfunktioniert verifizieren? Dass das Theorem für sich alleine keinen Realitätsbezug hat ist klar, aber viele naturwissenschaftliche Modelle (wenn nicht sogar die meisten) geben auch nur in einem Kontext Sinn. Ich verstehe schon, was du meinst, aber ich halte diese Definition von Wissenschaft nicht wirklich für pragmatisch sinnvoll. Du hast ja am Ende eh nichts gewonnen. Und du willst ganz sicher nicht, dass es keine Lehrstühle und ein Studium für Mathematik gibt, nur weil die Mathematiker die Welt nicht erklären wollen, sondern nur ihre Arbeit dafür benutzt wird. Wissen schaffen sie dadurch ja trotzdem.

Die Häufigkeit ist im Prinzip egal. Du kannst halt einfach nicht pauschalisieren, nur weil bestimmte "Wissen"schaften etwas häufiger machen und andere nicht. Dass Sozial- und Geisteswissenschaften nur weniger objektiv sein können als Naturwissenschaften, steht ja nicht in Frage. Und dass gewisse Teile von Disziplinen der Geisteswissenschaften tendenziell einen geringeren Realitätsbezug haben und eher verstehen, statt erklären ist ja IMO auch richtig (aber nicht unbedingt sinnvoll). Aber von diesem "tendenziell" lässt sich IMO noch nicht ein pragmatisch sinnvolles Aberkennen von Wissenschaftlichkeit ableiten. Geistes- und Sozialwissenschaften sind per se für die Gesellschaft wichtig und relevant. Wenn eine Disziplin für die Gesellschaft gerade nicht sehr relevant ist, sollte sie aber auch nicht gleich aufgegeben werden. In 10-20 Jahren könnte sie relevanter denn je sein. Ob jetzt jeder Geistes- oder Sozialwissenschaften studieren muss, um dann nachher Taxifahrer zu werden? Das wage ich zu bezweifeln. Sollten deswegen Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften nicht mehr universitär gelehrt werden?

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Saturday, February 11th 2012, 10:59pm

Was ich meinte ist folgendes: Wenn ich einen Apfel und noch nen Apfel habe, dann hab ich keine zwei Äpfel? Lässt sich dann ein mathematisches Theorem nicht als Modell umfunktioniert verifizieren?

Nein, hast du nicht. ;) Apfel ist ja schon eine Abstraktion von dem einen Ding, der andere Apfel ebenfalls. Dadurch, dass du zwei unterschiedliche Dinge unter einem zusammenfasst macht es überhaupt erst Sinn, dass du bis 2 Zählen kannst. Wäre es ein Apfel und eine Birne, dann könntest du nicht 2 Äpfel zählen - wohl aber 2 Früchte, eine andere Abstraktion.

Das es "2" Dinge sind, ist keine Aussage über die Welt, sondern einfach eine Definition. Du nennst etwas "2", wenn diese Abstraktion bestimmte Eigenschaften erfüllt. Damit sagst du aber nur etwas im Modell selbst aus, und nicht über die reale Welt. Der realen Welt ist ja egal, ob du 2 Früchte von einem Baum zu einer Kategorie zählst, oder nicht. ;)
Du kannst also, ohne diese Abstraktion und Zusammenfassung von Dingen zu Gruppen, dies in der realen Welt nicht verifizieren. Das du etwas zu einer Kategorie zusammenfassen kannst enthält ja im Prinzip schon (fast) alles, was du über Zählen wissen musst. Aber dies ist ja eine Idee, welche unabhängig vom Zustand der realen Welt funktioniert, d.h. du brauchst die reale Welt für den Beweis nicht.
Soll ich noch was über "als Modell umfunktioniert" sagen, oder erübrigt es sich hiermit?

Die Aussagen "Auf der Erde fallen Äpfel nach unten" kannst du hingegen ohne die reale Welt nicht auf ihren Wahrheitsgehalt untersuchen, auch wenn du alle Wörter vorher definiert hast. Hier abstrahiert man auch, d.h. man meint damit alle möglichen Äpfel. Diesen Term kann man über seine Eigenschaften jetzt beliebig genau definieren (aussehen, botanisch, DNA, wie auch immer).
Dass das Theorem für sich alleine keinen Realitätsbezug hat ist klar, aber viele naturwissenschaftliche Modelle (wenn nicht sogar die meisten) geben auch nur in einem Kontext Sinn. Ich verstehe schon, was du meinst, aber ich halte diese Definition von Wissenschaft nicht wirklich für pragmatisch sinnvoll. Du hast ja am Ende eh nichts gewonnen. Und du willst ganz sicher nicht, dass es keine Lehrstühle und ein Studium für Mathematik gibt, nur weil die Mathematiker die Welt nicht erklären wollen, sondern nur ihre Arbeit dafür benutzt wird. Wissen schaffen sie dadurch ja trotzdem.

Ich will auch weiterhin, dass es Lehrstühle für Mathematik gibt. ;-) Auch Philosophie. Selbst Geisteswissenschaften, sie sollen sich nur reformieren.
Ansonsten denke ich schon, dass man mit meiner Definition von Wissenschaft einiges gewonnen hat, weil man Wissenschaft nicht über Tradition und die Anwendung einer bestimmten Methodik definiert, sondern von Prinzipien darüber, was die Bedeutung von Wissenschaft ist. Für mich ist es Wissen schaffen. Aber echtes Wissen sind nur entscheidbare Aussagen. Wann sind Aussagen entscheidbar, d.h. wann kann man ihnen sinnvoll einen Wahrheitswert zuordnen? Hier ist der entscheidende Punkt: Ich sage, dies geht nur in Rückkopplung mit der Realität, über die wir etwas erfahren wollen. Andere sagen, dass es ausreicht, wenn die Aussagen im eigenen Kontext widerspruchsfrei sind (für die Klasse der Aussagen, für die dies eindeutig gilt). Letzteres verneine ich, weil man prinzipiell nichts über die Axiome weiß, daher unter beliebigen konkurrierenden Axiomensystemen wählen kann und unterschiedliche richtige Aussagen enthält. Dies halte ich nicht für sinnvoll, von daher sollte man die Klasse der entscheidbaren Fragen auf diejenigen beschränken, welche einen Realbezug haben.
Sollten deswegen Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften nicht mehr universitär gelehrt werden?

Sie sollten gelehrt werden - nur sollte man da auch Wissen schaffen. Ich habe oben beschrieben, dass aktuelle Geisteswissenschaft hochgradig selbstreferenziell ist. Und dann habe ich gerade beschrieben, wieso es imho notwendig ist um echtes Wissen zu erlangen, dass man Aussagen über die Realität macht, welche entscheidbar sind.
Ansonsten können Geisteswissenschaften Hilfs- bzw. Meta-Wissenschaften sein, wie Philosophie oder Mathematik. Aber ich sehe nicht, dass man neben diesen beiden noch weiteres braucht, um wissenschaftliche Modelle besser formulieren zu können.

Man kann sich sicher auch Gedanken über Demokratie machen, was das eigentlich ist. Da kann man nicht immer ausprobieren, sondern muss nach abstrakten Prinzipien etwas analysieren. Ob es sinnvoll war oder nicht, dass erfährt man allerdings erst, wenn man es in der Realität ausprobiert hat. Man kann aber sicher deduktiv sehr viele ungünstige Fälle ausschließen, weil man schon die Welt beobachtet hat und so weiß, was in ähnlichen Fällen funktioniert hat und was nicht.

Kastor

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Saturday, February 11th 2012, 11:42pm

Nein, hast du nicht. ;) Apfel ist ja schon eine Abstraktion von dem einen Ding, der andere Apfel ebenfalls. Dadurch, dass du zwei unterschiedliche Dinge unter einem zusammenfasst macht es überhaupt erst Sinn, dass du bis 2 Zählen kannst. Wäre es ein Apfel und eine Birne, dann könntest du nicht 2 Äpfel zählen - wohl aber 2 Früchte, eine andere Abstraktion.

Das es "2" Dinge sind, ist keine Aussage über die Welt, sondern einfach eine Definition. Du nennst etwas "2", wenn diese Abstraktion bestimmte Eigenschaften erfüllt. Damit sagst du aber nur etwas im Modell selbst aus, und nicht über die reale Welt. Der realen Welt ist ja egal, ob du 2 Früchte von einem Baum zu einer Kategorie zählst, oder nicht.

Du kannst also, ohne diese Abstraktion und Zusammenfassung von Dingen zu Gruppen, dies in der realen Welt nicht verifizieren. Das du etwas zu einer Kategorie zusammenfassen kannst enthält ja im Prinzip schon (fast) alles, was du über Zählen wissen musst. Aber dies ist ja eine Idee, welche unabhängig vom Zustand der realen Welt funktioniert, d.h. du brauchst die reale Welt für den Beweis nicht.
Soll ich noch was über "als Modell umfunktioniert" sagen, oder erübrigt es sich hiermit?

Die Aussagen "Auf der Erde fallen Äpfel nach unten" kannst du hingegen ohne die reale Welt nicht auf ihren Wahrheitsgehalt untersuchen, auch wenn du alle Wörter vorher definiert hast. Hier abstrahiert man auch, d.h. man meint damit alle möglichen Äpfel. Diesen Term kann man über seine Eigenschaften jetzt beliebig genau definieren (aussehen, botanisch, DNA, wie auch immer).
Ja schon richtig, aber darum gings mir nicht --> du redest mal wieder an der Sache vorbei.
Ich will auch weiterhin, dass es Lehrstühle für Mathematik gibt. ;-) Auch Philosophie. Selbst Geisteswissenschaften, sie sollen sich nur reformieren.
Ansonsten denke ich schon, dass man mit meiner Definition von Wissenschaft einiges gewonnen hat, weil man Wissenschaft nicht über Tradition und die Anwendung einer bestimmten Methodik definiert, sondern von Prinzipien darüber, was die Bedeutung von Wissenschaft ist. Für mich ist es Wissen schaffen. Aber echtes Wissen sind nur entscheidbare Aussagen. Wann sind Aussagen entscheidbar, d.h. wann kann man ihnen sinnvoll einen Wahrheitswert zuordnen? Hier ist der entscheidende Punkt: Ich sage, dies geht nur in Rückkopplung mit der Realität, über die wir etwas erfahren wollen. Andere sagen, dass es ausreicht, wenn die Aussagen im eigenen Kontext widerspruchsfrei sind (für die Klasse der Aussagen, für die dies eindeutig gilt). Letzteres verneine ich, weil man prinzipiell nichts über die Axiome weiß, daher unter beliebigen konkurrierenden Axiomensystemen wählen kann und unterschiedliche richtige Aussagen enthält. Dies halte ich nicht für sinnvoll, von daher sollte man die Klasse der entscheidbaren Fragen auf diejenigen beschränken, welche einen Realbezug haben.

Sie sollten gelehrt werden - nur sollte man da auch Wissen schaffen. Ich habe oben beschrieben, dass aktuelle Geisteswissenschaft hochgradig selbstreferenziell ist. Und dann habe ich gerade beschrieben, wieso es imho notwendig ist um echtes Wissen zu erlangen, dass man Aussagen über die Realität macht, welche entscheidbar sind.
Ansonsten können Geisteswissenschaften Hilfs- bzw. Meta-Wissenschaften sein, wie Philosophie oder Mathematik. Aber ich sehe nicht, dass man neben diesen beiden noch weiteres braucht, um wissenschaftliche Modelle besser formulieren zu können.
Bei manchen Dingen kannst du keinen Wahrheitswert zuordnen. In der Geschichtswissenschaft hat man z.B. ja das Problem der Selektivität und der Perspektivität. Man kann keinen exakten Wahrheitswert zuordnen. Man kann aber abwägen und mit geeignetem Bezugsragen entscheiden ob etwas sooder so gewesen sein könnte. Und man ist immer abhängig von einer gewissen Fragestellung, die aus der Gegenwart entstammt. Das ist natürlich ein Problem und man kann nichts mit 100%er Gewissheit etwas feststellen. Da man abhängig von der Fragestellung ist, ist natürlich auch jede Untersuchung subjektiv - und dagegen hilft nur die Intersubjektivität des Faches.

Nach deiner Definition wäre es also keineWissenschaft - das ist verständlich, aber die Geschichtswissenschaft hat ja eben auch nicht den Anspruch, das zu sein.

Aber nur weil man eben nicht so objektiv sein kann wie eine Naturwissenschaft und keinen exakten Wahrheitswert zuordnen kann, heißt es ja noch nicht, dass man es garnicht erst versuchen sollte. In der Geschichtswissenschaft und anderen Geistes bzw. Sozialwissenschaften ist eine professionelle Ausbildung und methodisch geregelte Forschung wichtig und auch für die Gesellschaft sinnvoll. Natürlich könntest du jetzt die Geschichtswissenschaft nicht mehr Wissenschaft nennen, aber dann bezeichnest du sie nur anders - ändern wird sich dann aber nichts.

Oder man könnte die Geistes und Sozialwissenschaften so reformieren, dass nur noch nach deiner Definition Wissen geschaffen wird - aber dann verlieren die Geistes- und Sozialwissenschaften ihre gesellschaftliche Relevanz, und dann ist der Nutzen für Gesellschaft gleich Null.

Edit: Dass sich die Geisteswisseschaften zu sehr im Kreis drehen und zu wenig empirisch vorgehen - da stimme ich dir zu. Aber wenn das behoben wäre, könnte immer noch nicht nach deiner Definition Wissen geschaffen werden.

Man kann sich sicher auch Gedanken über Demokratie machen, was das eigentlich ist. Da kann man nicht immer ausprobieren, sondern muss nach abstrakten Prinzipien etwas analysieren. Ob es sinnvoll war oder nicht, dass erfährt man allerdings erst, wenn man es in der Realität ausprobiert hat. Man kann aber sicher deduktiv sehr viele ungünstige Fälle ausschließen, weil man schon die Welt beobachtet hat und so weiß, was in ähnlichen Fällen funktioniert hat und was nicht.
Wie kommst du jetzt auf das Beispiel? Und zudem ist das praktisch eh quatsch, da man entweder von einem Idealtypus ausgehen muss, der mit der Realität nie übereinstimmt (d.h. man wird praktisch kein Wissen schaffen können), oder die Definition ist so kastriert, dass man zwar entscheidbare Aussagen machen kann - die aber in der Praxis sinnlos sind weil man keine Erkenntnis gewonnen hat, mit der man praktisch im Leben etwas anfangen könnte.

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Sunday, February 12th 2012, 12:11am

Ja schon richtig, aber darum gings mir nicht --> du redest mal wieder an der Sache vorbei.

Ich schätze, genau darum ging es aber. Zählen hängt an der Abstraktion, Kategorien bilden zu können. Dies ist aber unabhängig von der Realität, d.h. ich kann mir ohne Kenntnis der Realität schon zahlen ausdenken und auch, dass ich irgendwas zählen könnte. Mehr geht nicht, da kann man nichts mehr an der Realität verifizieren (was sowieso ungünstig ausgedrückt ist). Und dies gilt für jedes mathematische Konstrukt.
Bei manchen Dingen kannst du keinen Wahrheitswert zuordnen. In der Geschichtswissenschaft hat man z.B. ja das Problem der Selektivität und der Perspektivität. Man kann keinen exakten Wahrheitswert zuordnen. Man kann aber abwägen und mit geeignetem Bezugsragen entscheiden ob etwas sooder so gewesen sein könnte. Und man ist immer abhängig von einer gewissen Fragestellung, die aus der Gegenwart entstammt.
...
Nach deiner Definition wäre es also keineWissenschaft - das ist verständlich, aber die Geschichtswissenschaft hat ja eben auch nicht den Anspruch, das zu sein.

Manche Fragestellungen sind sicher keine wissenschaftlichen, bspw. alle Fragestellungen, welche Einzelereignisse betreffen. Da kann man grob Quellenarbeit betreiben und anhand der aktuellen Erkenntnisse versuchen ein konsistentes Bild zu weben. Aber dies ist ja nur ein Aspekt, Quelleninterpretation.
Man kann sich aber viele grundlegendere Fragestellungen nach Kräften vorstellen, welche historischen (und aktuellen) Ereignissen zugrunde liegen. Dann kommt man zu ökonomischen, oder allgemeiner, sozialwissenschaftlichen Fragen über lange Zeitskalen. Dies ist das eigentlich wissenschaftliche, was die Geschichtswissenschaft leisten könnte: Zu klären, was bestimmte Treiber für bestimmte Entwicklungen sind, wo man diese Entwicklungen wieder sehen kann und was man daher über die Gegenwart bzw. Zukunft aussagen kann. Natürlich sind nur Ereignisse sinnvoll, welche mehrmals auftauchten, d.h. nicht Französische Revolution, sondern Revolutionen allgemein. Oder auch sprunghafte Herrschaftsformwechsel, etc.
Ich denke übrigens, dass die Geschichtswissenschaft sich in ihrem Selbstverständnis schon für eine Wissenschaft hält. Ich würde dafür stärker den dann notwendigen interdisziplinären Charakter betonen und den Schwerpunkt mehr auf die Sozialwissenschaften legen. Ansonsten interpretiert man die gleichen Texte in jeder Epoche erneut und anders.
Das ist natürlich ein Problem und man kann nichts mit 100%er Gewissheit etwas feststellen. Da man abhängig von der Fragestellung ist, ist natürlich auch jede Untersuchung subjektiv - und dagegen hilft nur die Intersubjektivität des Faches.
...
Edit: Dass sich die Geisteswisseschaften zu sehr im Kreis drehen und zu wenig empirisch vorgehen - da stimme ich dir zu. Aber wenn das behoben wäre, könnte immer noch nicht nach deiner Definition Wissen geschaffen werden.

Die Fragestellungen müssen nicht subjektiver als in anderen Wissenschaften sein: Wieso gibt es Völkerwanderungen, wie entstehen Religionen und wie breiten sie sich aus? Gilt dies allgemeiner für Ideen/Weltanschauungen, oder gab es eine bestimmte Zeit für Religionsausbreitung?
Welche Gesellschaftsstruktur begünstigt bestimmte Entwicklungen. Gibt es Lehren für eine Art Selbstselektion, wie sich Gesellschaften verändern müssen, um großen Herausforderungen trotzen zu können? Wie laufen im Allgemeinen Zusammentreffen von hoch- und niedrig entwickelten Kulturen ab? Wie bilden sich Bündnisse, kann man dies durch wenige erklärende Variablen gut beschreiben, oder wie hoch ist der Anteil persönlicher Sympathie/Antipathie der jeweiligen Anführer?

Ich sehe das Problem bei den möglichen Fragen nicht. Man muss nur Wissen, dass man zu Einzelereignissen praktisch nichts sagen kann, man braucht immer Vergleiche, um in das typische und das atypische Unterteilen zu können.
Antworten auf die von mir gestellten Fragen wären Wissen bzw. wissenschaftlich. Ich finde die Geschichtswissenschaften gehen eigentlich ganz gut empirisch vor, aber sie stellen imho zumeist die falschen Fragen, welche sie prinzipiell nicht beantworten, d.h. auch kein echtes Wissen schaffen können.
Aber nur weil man eben nicht so objektiv sein kann wie eine Naturwissenschaft und keinen exakten Wahrheitswert zuordnen kann, heißt es ja noch nicht, dass man es garnicht erst versuchen sollte. In der Geschichtswissenschaft und anderen Geistes bzw. Sozialwissenschaften ist eine professionelle Ausbildung und methodisch geregelte Forschung wichtig und auch für die Gesellschaft sinnvoll. Natürlich könntest du jetzt die Geschichtswissenschaft nicht mehr Wissenschaft nennen, aber dann bezeichnest du sie nur anders - ändern wird sich dann aber nichts.

Genau das ändert alles, weil du Wissenschaft einfach nur wieder über die Anwendung einer bestimmten Methodik erklärst, wie beim Cargo Cult! Dann ist Religions"wissenschaft" auch eine Wissenschaft, wenn man nur die Quellen aufmerksam und sorgfältig genug studiert, unabhängig davon, dass Gott sich prinzipiell wissenschaftlichen Fragen entzieht? Wenn du die Existenz von Gott annimmst, dann kannst du damit prinzipiell alles erklären, weil es die stärkstmögliche Annahme ist. Daher ist es nie sinnvoll aus der Existenz Gottes etwas zu schlussfolgern, genauso wie aus dem Gegenteil. Umgekehrt kann man alle vorstellbaren Phänomene mit weniger starken Annahmen erklären als mit Gott. Aber dann hätte man einen Widerspruch, wenn man das Forschen über eine Frage, über die man als Menschen prinzipiell kein Wissen erlangen kann, auch als Wissenschaft bezeichnet. Das finde ich eine Verhöhnung aller echt wissenschaftlich arbeitenden Menschen.
Oder man könnte die Geistes und Sozialwissenschaften so reformieren, dass nur noch nach deiner Definition Wissen geschaffen wird - aber dann verlieren die Geistes- und Sozialwissenschaften ihre gesellschaftliche Relevanz, und dann ist der Nutzen für Gesellschaft gleich Null.

Wieso? Du solltest solch eine Behauptung schon begründen.

Kastor

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Sunday, February 12th 2012, 1:08am

Manche Fragestellungen sind sicher keine wissenschaftlichen, bspw. alle Fragestellungen, welche Einzelereignisse betreffen. Da kann man grob Quellenarbeit betreiben und anhand der aktuellen Erkenntnisse versuchen ein konsistentes Bild zu weben. Aber dies ist ja nur ein Aspekt, Quelleninterpretation.
Man kann sich aber viele grundlegendere Fragestellungen nach Kräften vorstellen, welche historischen (und aktuellen) Ereignissen zugrunde liegen. Dann kommt man zu ökonomischen, oder allgemeiner, sozialwissenschaftlichen Fragen über lange Zeitskalen. Dies ist das eigentlich wissenschaftliche, was die Geschichtswissenschaft leisten könnte: Zu klären, was bestimmte Treiber für bestimmte Entwicklungen sind, wo man diese Entwicklungen wieder sehen kann und was man daher über die Gegenwart bzw. Zukunft aussagen kann. Natürlich sind nur Ereignisse sinnvoll, welche mehrmals auftauchten, d.h. nicht Französische Revolution, sondern Revolutionen allgemein. Oder auch sprunghafte Herrschaftsformwechsel, etc.
Ich denke übrigens, dass die Geschichtswissenschaft sich in ihrem Selbstverständnis schon für eine Wissenschaft hält. Ich würde dafür stärker den dann notwendigen interdisziplinären Charakter betonen und den Schwerpunkt mehr auf die Sozialwissenschaften legen. Ansonsten interpretiert man die gleichen Texte in jeder Epoche erneut und anders.
Genau das macht Geschichte unter anderem auch. Aber aufgrund der Selektivität und Perspektivität, ist es dennoch nicht möglich eine 100% Aussage zu machen, ob etwas wahr ist oder nicht. Aus einem beschränkten Quellenbestand lässt sich keine Wahrheit extrapolieren, und schon gar nicht nur eine.
Natürlich hält sich die GW für eine Wissenschaft - nur nicht für eine Wissenschaft in deinem Sinne, die den Anspruch hat, objektiv und zu 100% zu entscheiden was/wie es war oder nicht war (bzw. was/wie es ist bzw. nicht ist). Denn das ist nicht möglich. Sie versucht zwar durch Intersubjektvität nahe genug daran ran zu kommen, weiß aber dass es nicht geht. Und sie weiß, dass die Fragestellungen und Probleme stets aus der Gegenwart wachsen. In der Geschichte gibt es keine Probleme, die man klären muss. Man macht nur etwas zu einem (für die gegenwärtige Gesellschaft relevantes) Problem und untersucht es.
Die Fragestellungen müssen nicht subjektiver als in anderen Wissenschaften sein: Wieso gibt es Völkerwanderungen, wie entstehen Religionen und wie breiten sie sich aus? Gilt dies allgemeiner für Ideen/Weltanschauungen, oder gab es eine bestimmte Zeit für Religionsausbreitung?
Welche Gesellschaftsstruktur begünstigt bestimmte Entwicklungen. Gibt es Lehren für eine Art Selbstselektion, wie sich Gesellschaften verändern müssen, um großen Herausforderungen trotzen zu können? Wie laufen im Allgemeinen Zusammentreffen von hoch- und niedrig entwickelten Kulturen ab? Wie bilden sich Bündnisse, kann man dies durch wenige erklärende Variablen gut beschreiben, oder wie hoch ist der Anteil persönlicher Sympathie/Antipathie der jeweiligen Anführer?
Das macht die GW ja auch teilweise. Siehe eben Sozialgeschichte bzw. auch Annales.
Aber solche Fragestellungen sind doch erst recht subjektiv, da sie aus der Gegenwart entstammen. Migration, Revolution, das mögen für uns relevante Themen sein, für eine Gesellschaft in 100 oder 200 Jahren vielleicht nicht mehr. Begriffe wandeln sich, was früher Krieg bedeutet, ist nicht mehr, was heute Krieg bedeutet. Die Wahl der Quellen erfolgt anhand der Fragestellung und die Quellen werden anhand der Fragestellung betrachtet. Das hat Einfluss auf das Ergebnis. Es macht einen großen Unterschied ob man ein und dieselbe Quelle sozialgeschichtlich, kulturgeschichtlich oder politikgeschichtlich betrachtet.
Einfache Sachurteile, z.B. die Existenz des Holocausts, sind aber deshalb auch nicht weniger relevant. Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der z.B. Holocaustleugner nicht von einer (als eine angesehene) Wissenschaft die Leviten gelesen bekommen.
Genau das ändert alles, weil du Wissenschaft einfach nur wieder über die Anwendung einer bestimmten Methodik erklärst, wie beim Cargo Cult! Dann ist Religions"wissenschaft" auch eine Wissenschaft, wenn man nur die Quellen aufmerksam und sorgfältig genug studiert, unabhängig davon, dass Gott sich prinzipiell wissenschaftlichen Fragen entzieht? Wenn du die Existenz von Gott annimmst, dann kannst du damit prinzipiell alles erklären, weil es die stärkstmögliche Annahme ist. Daher ist es nie sinnvoll aus der Existenz Gottes etwas zu schlussfolgern, genauso wie aus dem Gegenteil. Umgekehrt kann man alle vorstellbaren Phänomene mit weniger starken Annahmen erklären als mit Gott. Aber dann hätte man einen Widerspruch, wenn man das Forschen über eine Frage, über die man als Menschen prinzipiell kein Wissen erlangen kann, auch als Wissenschaft bezeichnet. Das finde ich eine Verhöhnung aller echt wissenschaftlich arbeitenden Menschen.
Ich habe hier überhaupt nichts definiert. Ich rede hier nur von Pragmatik. Es geht ja darum, dass die Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften eine gesellschaftliche Relevanz haben - und um die relevanten Fragen und Probleme der Gesellschaft auch überprüfbar zu beantworten bedarf es eben einer gewissen Methode und einer professionellen Ausbildung - sonst könnte ja jeder kommen - und deshalb müssen Sozial- und Geisteswissenschaften auch das Recht haben gelehrt zu werden und zu forschen. Wenn du sie aufgrund ihrer Subjektivität und der Unmöglichkeit, Wahrheiten 100% festzustellen nicht mehr wissenschaftlich nennen willst, meinetwegen. Aber deswegen müssen und sollen sie trotzdem professionell und mit gewissen Methoden (eben um überprüfbar zu werden) irgendwo ausgebildet werden und forschen können. Und sie aus der Universität zu schmeißen und die Institution anders zu nennen, hat nicht wirklich einen praktischen Wert, erst recht keinen ökonomischen.

Edit: Mal ganz abgesehen davon, finde ich immer wieder lustig, wie du Religionswissenschaft auf sowas beschränkst. Natürlich könnte man die wissenschaftlichen Aspekte der Religionswissenschaft auch wo anders auslagern - nur das wäre max. unpraktisch. Weil für dich Glaube nicht relevant ist, heißt es noch lange nicht, dass es für den Großteil der Gesellschaft irrelevant ist. Weils relevant ist, werden Pfarrer, Priester und sonstige ausgebildet. Und es ist halt nun mal praktischer (erst recht, da historisch so gewachsen) Pfarrer, Priester und alle anderen, die sich eben für Religion interessieren an einem Ort auszubilden. BTW haben Mediävistik, Altertumswissenschaften und co. auch nicht unbedingt viel miteinander zu tun - bis auf ähnliche Methoden. Aber für die Lehrerausbildung ist es eben auch praktischer, das in einen Topf zu werfen.
Wieso? Du solltest solch eine Behauptung schon begründen.
Weil sich in den meisten Geisteswissenschaften z.B. in der Geschichtswissenschaft, etwas nicht mit 100%er Wahrscheinlichkeit und Objektivität feststellen lässt und die Untersuchung von der Fragestellung abhängig ist. Eine Geisteswissenschaft, die nur Fakten zusammenträgt und versucht rein objektive Sachurteile zu fällen, keine Problem- bzw. Fragstellungen aus der Gesellschaft aufgreift (und somit subjektiv wird) ist für die Gesellschaft nicht relevant. Wen interessiert es, ob es einen Karl den Großen gegeben hat oder ob es im Urwald in Brasilien irgend ein kulturell isoliertes Buschvolk gab? Dann sind wir doch wieder bei dem was und warum, statt dem "wie". Und das "wie" geht eben in den Geisteswissenschaften oft nicht so, wie in den Natur oder Sozialwissenschaften, aber nur weil es so nicht geht, macht es die Disziplin nicht weniger relevant.

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Sunday, February 12th 2012, 3:20am

Ich antworte jetzt nur kurz auf Deine direkte Antwort auf meinen Beitrag, Worf, für den Rest gilt: tl;dr, der Abend war auch zu lang. ;)

Du vertrittst hier anscheinend unbewußt die Position des Methodenmonismus der 1920er Jahre, was ich ziemlich erheiternd finde, angesichts der Tatsache, dass du dich ja ziemlich intensiv mit Wissenschaftstheorie beschäftigt hast. Aber nun gut, betreiben wir Erwachsenenbildung: Die Unterschiede der Untersuchungsgegenstände Gesellschaft, Geist und Natur sind im Grunde banal nachzuvollziehen. Natur ist natürlich, es gelten universelle Naturgesetzte, denen alle Elemente gehorchen. Gesellschaft hingegen ist ein artifizielles, ein menschgemachtes Konstrukt, es herrschen Normen, Werte, Regeln, die auch noch abhängig sind von Konzepten wie Kultur, Ort, Zeit, Kontext, Mentalität etc. Insgesamt wirken Myriaden von Einflüssen. Reflexivität, als ein weiteres Unterscheidungsmerkmal, bedeutet hier, dass es einem natürlichen Teilchen mangels Bewußtsein egal ist, was ich über es sage. Es gehorcht Naturgesetzen. Treffe ich hingegen eine Aussage über Gesellschaft oder Teile davon, kann allein dies dazu führen, dass sie ihr Verhalten anpassen. Die Komplexität und Dynamik von Gesellschaft wird meinen Studenten spätestens dann klar, wenn ich sie auf die Bedeutung von einzelnen Personen auf globale Entwicklungen verweise: Alexander der Große, Cäsar, Hannibal, Napoleon, aber auch Hitler, Stalin, Bin Laden etc. Das Modell bzw. die Theorie will ich sehen, die individuelle Motivation berücksichtigen, geschweige denn vorhersagen kann.

Die einseitige Fixierung auf naturwissenschaftliche Kriterien wie Testbarkeit/Falsifizierbarkeit von Aussagen und Ergebnissen zum Zwecke der Modell- und Theorievalidierung (was immer auch zum Ziel hat, Zukunftsprognosen treffen zu können) ist daher genauso unpassend, wie die einseitige Anwendung von geisteswissenschaftlichen Methoden wie z.B. der Hermeneutik oder der Dialektik, die ja dich so auf die Palme bringt. Für mich ist beides lediglich Ausdruck dogmatischen, und damit unwissenschaftlichen Denkens und einer unvollständigen Methodenausbildung und mangelnder Kenntnis über die eigene Wissenschaft.


Der historische Methodenstreit in den SoWi, mit den Gegensätzen Erklären (Naturwissenschaften) und Verstehen (Geisteswissenschaften), wird in den wirklich modernen SoWi sowieso pragmatisch mittels Methodenmix aufgelöst. Im Kern geht es in den SoWi als solchen also immer noch darum, dem Gegenstand angemessen Methoden zu entwickeln. Nichts anderes hat hier Rommel aber schon mehrfach gesagt.

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Sunday, February 12th 2012, 2:44pm

Aber solche Fragestellungen sind doch erst recht subjektiv, da sie aus der Gegenwart entstammen. Migration, Revolution, das mögen für uns relevante Themen sein, für eine Gesellschaft in 100 oder 200 Jahren vielleicht nicht mehr. Begriffe wandeln sich, was früher Krieg bedeutet, ist nicht mehr, was heute Krieg bedeutet. Die Wahl der Quellen erfolgt anhand der Fragestellung und die Quellen werden anhand der Fragestellung betrachtet. Das hat Einfluss auf das Ergebnis. Es macht einen großen Unterschied ob man ein und dieselbe Quelle sozialgeschichtlich, kulturgeschichtlich oder politikgeschichtlich betrachtet.

Es ist doch irrelevant, ob man später eine Frage als interessant betrachtet oder nicht. Solange man sie sinnvoll stellen und beantworten kann, ist es ok. Und natürlich werden nur Fragen gestellt, welche uns aktuell interessieren oder für uns aktuell interessant sind. Man könnte ja prinzipiell jede Frage stellen.
Einfache Sachurteile, z.B. die Existenz des Holocausts, sind aber deshalb auch nicht weniger relevant. Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der z.B. Holocaustleugner nicht von einer (als eine angesehene) Wissenschaft die Leviten gelesen bekommen.

Das ist aber subjektiv, dass du einen Aspekt als unumstößlich herausgreifst und jede Debatte darüber verbieten möchtest. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, wo es solche Denkverbote gibt. Ansonsten ist die Evidenz für den Holocaust ja sehr überwältigend. wenn aber jemand denkt diese Evidenz durch eine andere Theorie irgendwie besser erklären zu können, so soll er dies versuchen.
Ich habe hier überhaupt nichts definiert. Ich rede hier nur von Pragmatik. Es geht ja darum, dass die Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften eine gesellschaftliche Relevanz haben - und um die relevanten Fragen und Probleme der Gesellschaft auch überprüfbar zu beantworten bedarf es eben einer gewissen Methode und einer professionellen Ausbildung - sonst könnte ja jeder kommen - und deshalb müssen Sozial- und Geisteswissenschaften auch das Recht haben gelehrt zu werden und zu forschen. Wenn du sie aufgrund ihrer Subjektivität und der Unmöglichkeit, Wahrheiten 100% festzustellen nicht mehr wissenschaftlich nennen willst, meinetwegen. Aber deswegen müssen und sollen sie trotzdem professionell und mit gewissen Methoden (eben um überprüfbar zu werden) irgendwo ausgebildet werden und forschen können. Und sie aus der Universität zu schmeißen und die Institution anders zu nennen, hat nicht wirklich einen praktischen Wert, erst recht keinen ökonomischen.

Wenn der Staat Steuergelder investiert und bei der Ausbildung der Studenten der Großteil keine recht direkt verwertbaren Fähigkeiten erhält und dazu die Wissenschaft nicht das macht was was sie soll nämlich Wissen schaffen, so muss man sich imho fragen, wie man dieses System kurieren kann. Ein Anfang wäre wohl eine andere Methodenausbildung, welche nicht nur im eigenen Saft schmort. Mathematik im Grundstudium, Modelltheorie, ein Grundverständnis für Statistik etc., was jetzt praktisch gar nicht zum Curriculum gehört. Damit könnte man experimentieren. Zusätzlich sollte sich etwas in den untersuchten Fragestellungen ändern, damit man nicht nur selfstreferentiell Wissenschaft betreibt.
Edit: Mal ganz abgesehen davon, finde ich immer wieder lustig, wie du Religionswissenschaft auf sowas beschränkst. Natürlich könnte man die wissenschaftlichen Aspekte der Religionswissenschaft auch wo anders auslagern - nur das wäre max. unpraktisch. Weil für dich Glaube nicht relevant ist, heißt es noch lange nicht, dass es für den Großteil der Gesellschaft irrelevant ist. Weils relevant ist, werden Pfarrer, Priester und sonstige ausgebildet. Und es ist halt nun mal praktischer (erst recht, da historisch so gewachsen) Pfarrer, Priester und alle anderen, die sich eben für Religion interessieren an einem Ort auszubilden. BTW haben Mediävistik, Altertumswissenschaften und co. auch nicht unbedingt viel miteinander zu tun - bis auf ähnliche Methoden. Aber für die Lehrerausbildung ist es eben auch praktischer, das in einen Topf zu werfen.

Wieso wäre dies unpraktisch? Ich würde dies ehrlich nennen. Vor allem würde damit auch alles wegfallen, was eben nicht Wissenschaft ist bzw. sein kann. Und hier bin ich laizistisch, soll doch jede Religion ihre eigene "Forschung" selbst direkt finanzieren, da hat der Staat manche Gruppen nicht zu bevorteilen.
Das Laizismusargument passt auch darauf, dass jede gesellschaftliche Gruppe individuell Pfarrer, Priester etc. ausbilden kann. Wieso gibt man einigen Gruppen in einer Gesellschaft solche Privilegien, enthält es aber anderen vor (Scientology bspw.). Von außen erscheint jede Religion verrückt, dass ist ja ein Merkmal von Religion - sie postulieren unüberprüfbare ad hoc Erklärungen.
Ich sehe auch nicht, wieso es Religionslehrer geben sollte. Die haben in staatlichen Schulen imho nichts zu suchen. Allenfalls im Zeichen von Ethik können Religionen als kulturgeschichtliche Phänomene vorgestellt werden, aber für diese Lehrerausbildung braucht es keine Religions"wissenschaft".
Wieso? Du solltest solch eine Behauptung schon begründen.
Weil sich in den meisten Geisteswissenschaften z.B. in der Geschichtswissenschaft, etwas nicht mit 100%er Wahrscheinlichkeit und Objektivität feststellen lässt und die Untersuchung von der Fragestellung abhängig ist. Eine Geisteswissenschaft, die nur Fakten zusammenträgt und versucht rein objektive Sachurteile zu fällen, keine Problem- bzw. Fragstellungen aus der Gesellschaft aufgreift (und somit subjektiv wird) ist für die Gesellschaft nicht relevant. Wen interessiert es, ob es einen Karl den Großen gegeben hat oder ob es im Urwald in Brasilien irgend ein kulturell isoliertes Buschvolk gab? Dann sind wir doch wieder bei dem was und warum, statt dem "wie". Und das "wie" geht eben in den Geisteswissenschaften oft nicht so, wie in den Natur oder Sozialwissenschaften, aber nur weil es so nicht geht, macht es die Disziplin nicht weniger relevant.

Mit 100%iger Wahrscheinlichkeit lässt sich nichts über die reale Welt sagen. Ansonsten ist ja eben mein Kritikpunkt, dass man sich in den Geisteswissenschaften viel zu häufig Fragestellungen aussucht, wo man einfach prinzipiell keine sinnvollen Antworten drauf geben kann, d.h. wo man auch kein Wissen erlangen kann.
Probleme und Fragestellungen aus der Gesellschaft können trotzdem aufgegriffen werden. Aber was nützt es denn wissenschaftlich Fragestellungen aufzugreifen, wenn darauf keine Antwort möglich ist? Oder wenn man in seiner Wissenschaftsausrichtung durch Ideologie schon eine bestimmte Antwort vorweg nimmt?
Alle heutigen Diskurse können in einer offenen Gesellschaft doch auch weiter geschehen, nur nicht unter dem Deckmantel von Wissenschaft, wenn es nur um subjektive Meinungen geht.

Kastor

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Sunday, February 12th 2012, 3:29pm

Es ist doch irrelevant, ob man später eine Frage als interessant betrachtet oder nicht. Solange man sie sinnvoll stellen und beantworten kann, ist es ok. Und natürlich werden nur Fragen gestellt, welche uns aktuell interessieren oder für uns aktuell interessant sind. Man könnte ja prinzipiell jede Frage stellen.
Ist es nicht. Vor 200 Jahren wurden vielleicht die selben Fragen gestellt, wurden aber anders beantwortet, als wir es heute tun würden. Aber deshalb hat man trotzdem heute einen anderen Blick auf die Vergangenheit als vor 200 Jahren. Oder was interessiert mich der Historismus von vor 100 Jahren? Man ist heute vielleicht doch eher an Sozialgeschichte interessiert.
Das ist aber subjektiv, dass du einen Aspekt als unumstößlich herausgreifst und jede Debatte darüber verbieten möchtest. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, wo es solche Denkverbote gibt. Ansonsten ist die Evidenz für den Holocaust ja sehr überwältigend. wenn aber jemand denkt diese Evidenz durch eine andere Theorie irgendwie besser erklären zu können, so soll er dies versuchen.
Du redest (wie so oft), leider am Kern der Sache vorbei. Hier geht es nicht um Denkverbote oder gewisse Gruppen mundtot zu machen. Es ist ist nunmal unpraktisch, wenn jeder Bürger selbst forschen und überprüfen muss, ob es den Holocaust gegeben hat. Aber durch die prinzipielle Nachprüfbarkeit der Masse an Publikationen darüber reicht eben aus, um davon auszugehen, ohne selbst forschen zu müssen. Aber ohne gewisse Methoden und eine gewisse Ausbildung, um Methoden anwenden zu können hätten wir diese Verfügbarkeit von "Wissen" eben nicht. Natürlich kann jemand mit einer Theorie kommen, aber sie wird entweder nicht nachprüfbar sein, oder es wird sich herausstellen, dass die Quellen gefälscht wurden, Quellen bewusst ignoriert wurden, oder Quellen nach dem großteil anderer Forscher falsch ausgelegt wurden. Wenn du niemanden ausgebildet hast, der die Theorien überprüfen kann, dann hast du eben in der Gesellschaft ein Problem, wenn Geschichte erfunden, gefälscht und instrumentalisiert wird, wie es der Politik und den Medien gerade so passt.
Wenn der Staat Steuergelder investiert und bei der Ausbildung der Studenten der Großteil keine recht direkt verwertbaren Fähigkeiten erhält und dazu die Wissenschaft nicht das macht was was sie soll nämlich Wissen schaffen, so muss man sich imho fragen, wie man dieses System kurieren kann. Ein Anfang wäre wohl eine andere Methodenausbildung, welche nicht nur im eigenen Saft schmort. Mathematik im Grundstudium, Modelltheorie, ein Grundverständnis für Statistik etc., was jetzt praktisch gar nicht zum Curriculum gehört. Damit könnte man experimentieren. Zusätzlich sollte sich etwas in den untersuchten Fragestellungen ändern, damit man nicht nur selfstreferentiell Wissenschaft betreibt.
Hier implizierst du, dass die Disziplinen an der Universität nach deiner Definition Wissen schaffen soll. Das ist aber in der Realität nicht unbedingt so, bzw. in manchen Bereichen auch gar nicht möglich bzw. sinnvoll, wie ich ja schon dargelegt habe.
Wieso wäre dies unpraktisch? Ich würde dies ehrlich nennen. Vor allem würde damit auch alles wegfallen, was eben nicht Wissenschaft ist bzw. sein kann. Und hier bin ich laizistisch, soll doch jede Religion ihre eigene "Forschung" selbst direkt finanzieren, da hat der Staat manche Gruppen nicht zu bevorteilen.
Das Laizismusargument passt auch darauf, dass jede gesellschaftliche Gruppe individuell Pfarrer, Priester etc. ausbilden kann. Wieso gibt man einigen Gruppen in einer Gesellschaft solche Privilegien, enthält es aber anderen vor (Scientology bspw.). Von außen erscheint jede Religion verrückt, dass ist ja ein Merkmal von Religion - sie postulieren unüberprüfbare ad hoc Erklärungen.
Ich sehe auch nicht, wieso es Religionslehrer geben sollte. Die haben in staatlichen Schulen imho nichts zu suchen. Allenfalls im Zeichen von Ethik können Religionen als kulturgeschichtliche Phänomene vorgestellt werden, aber für diese Lehrerausbildung braucht es keine Religions"wissenschaft".
Sorry, aber du raffst es halt einfach nicht. Glaubst du ernsthaft, eine theologische Fakultät bildet nur Pfarrer aus und befasst sich nur mit nichtbeantwortbaren Fragen, ob es einen Gott gibt?

EDIT: BTW bin ich übrigens froh, dass die Religions"wissenschaft" mit ihrer Bibelforschung schon so weit ist, dass sie sagt, die Schöpfungsgeschichte ist symbolisch und ein Akt der Abgrenzung ggü. den Babyloniern (während der babylonischen Gefangenschaft), was btw auch so im Religionsunterricht gelehrt wird. Ich weiß nicht, wie das in den USA mit der Forschung so ist, aber da findet der Kreationismus gerade wieder
den Einzug in die (Biologie) Schulbücher, wie du ja sicher weißt. Und ohne diese Bibelforschung wäre es hier vielleicht genauso.
Durch die Bibelforschung lässt sich auch schön sehen, wie die Bibel von Menschen geschrieben wurde, was ja im Prinzip auch zur Rationalität beiträgt, statt zum reinen Glauben. Natürlich könntest du jetzt all diese Forschungen ausgliedern, aber wozu der Aufwand? Jemand der sich mit dem Kulturphänomen Religion auseinandersetzt kann das gerne an einer eigenen Fakultät machen. Wenn in 50 Jahren keiner mehr Religionen studieren will, dann werden die katholischen und evangelischen Fakultät sowieso geschlossen, zwangsvereinigt oder wo anders (Philo/Gesch/Soz) unter gebracht. Da mit dem Beil nur aus Prinzips wegen zu kommen, macht IMO keinen Sinn, wenn sich noch so viele auf eine Religion spezialisieren wollen.

Wenn die Eltern ihre Kinder nicht mehr zum Religionsunterricht schicken würden, gäbs auch keine Lehrer mehr.
Mit 100%iger Wahrscheinlichkeit lässt sich nichts über die reale Welt sagen. Ansonsten ist ja eben mein Kritikpunkt, dass man sich in den Geisteswissenschaften viel zu häufig Fragestellungen aussucht, wo man einfach prinzipiell keine sinnvollen Antworten drauf geben kann, d.h. wo man auch kein Wissen erlangen kann.
Probleme und Fragestellungen aus der Gesellschaft können trotzdem aufgegriffen werden. Aber was nützt es denn wissenschaftlich Fragestellungen aufzugreifen, wenn darauf keine Antwort möglich ist? Oder wenn man in seiner Wissenschaftsausrichtung durch Ideologie schon eine bestimmte Antwort vorweg nimmt?
Alle heutigen Diskurse können in einer offenen Gesellschaft doch auch weiter geschehen, nur nicht unter dem Deckmantel von Wissenschaft, wenn es nur um subjektive Meinungen geht.
Es geht um prinzipielle Überprüfbarkeit, was gewissen Methoden bedarf, und um Methoden anwenden zu können eber einer professionellen Ausbildung bedarf. Ob das jetzt "Wissenschaft" oder "methodisch überprüfbare Meinungsbildung" heißt, interessiert doch nicht. Der gesellschaftlichen Relevanz tut das keinen Abbruch. Du hängst dich da mal wieder an deinem beschränkten Wissensbegriff auf.

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49

Sunday, February 12th 2012, 4:19pm

die debatte die hier grad geführt wird ist geisteswissenschaft in ihrer reinform

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Sunday, February 12th 2012, 4:42pm

Hab ich auch schon dran gedacht, stimmt aber nicht ganz. Es geht ja um Wissenschaftstheorie, d.h. Philosophie. Dies betrifft ja nur einen kleinen Teil der Geisteswissenschaften. Diese Fragen sind ja nicht entscheidbar, wie von mir konstatiert. Deswegen ja auch meine Aussage, dass es sich dabei um eine Meta-Wissenschaft handelt. Man wählt dasjenige System, welches einem am besten gefällt, weil es wünschenswerte Eigenschaften impliziert.

Aber unsere Diskussion ist in diesem Sinne nicht wissenschaftlich, weil wir nichts darüber raus bekommen, wie die reale Welt aussieht. Wie lernen nichts über die reale Welt, unsere Diskussion ist philosophisch.

51

Sunday, February 12th 2012, 4:49pm

wie du willst jedenfalls sind das fragen die in der soz wiss im gegensatz zur naturiwssenschaft hochumstritten sind, je nach standpunkt sieht die empirische herangehensweise ganz anders aus, solang das nicht gelöst ist, kriegst du die geisteswissenschaft oder philosophie wie du willst aus der sozialwissenschaft nicht raus

Kastor

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Sunday, February 12th 2012, 5:47pm

Hab ich auch schon dran gedacht, stimmt aber nicht ganz. Es geht ja um Wissenschaftstheorie, d.h. Philosophie. Dies betrifft ja nur einen kleinen Teil der Geisteswissenschaften. Diese Fragen sind ja nicht entscheidbar, wie von mir konstatiert. Deswegen ja auch meine Aussage, dass es sich dabei um eine Meta-Wissenschaft handelt. Man wählt dasjenige System, welches einem am besten gefällt, weil es wünschenswerte Eigenschaften impliziert.

Aber unsere Diskussion ist in diesem Sinne nicht wissenschaftlich, weil wir nichts darüber raus bekommen, wie die reale Welt aussieht. Wie lernen nichts über die reale Welt, unsere Diskussion ist philosophisch.
Würde dir da auch zustimmen, dass es hier ne philosophische Debatte ist, bzw. finde ich es ist teilweise sogar ne rein begriffliche.

53

Sunday, February 12th 2012, 6:12pm

Hat sich endlich jemand gefunden um Worfs Lieblingsthema zu diskutieren?

Ihr seid wirklich sehr freundlich.

54

Sunday, February 12th 2012, 6:27pm

..., weil wir nichts darüber raus bekommen, wie die reale Welt aussieht. Wie lernen nichts über die reale Welt, unsere Diskussion ist philosophisch.


Geh' mal raus und schau' dich um.
...don't panic...

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Tuesday, February 14th 2012, 10:17am

Du vertrittst hier anscheinend unbewußt die Position des Methodenmonismus der 1920er Jahre, was ich ziemlich erheiternd finde, angesichts der Tatsache, dass du dich ja ziemlich intensiv mit Wissenschaftstheorie beschäftigt hast.

Da hast du recht, aber wieso findest du das erheiternd? Er wirft ein wichtiges Problem auf und die Entgegnungen darauf finde ich ungenügend. Außerdem geht es mir ja vor allem um die Geisteswissenschaften, welche den Mix des Methodendualismus ja gar nciht mehr anwenden, sondern sich einseitig auf Methoden beschränken, welche nicht geeignet sind Wissen zu produzieren.
Letztlich kann man auch nie etwas verstehen, wenn man drüber kein Wissen erlangen kann, wenn man keine überprüfbaren Aussagen formuliert (und auch tatsächlich überprüft).
Die Unterschiede der Untersuchungsgegenstände Gesellschaft, Geist und Natur sind im Grunde banal nachzuvollziehen. Natur ist natürlich, es gelten universelle Naturgesetzte, denen alle Elemente gehorchen.

Wir wissen nicht, ob es universelle Naturgesetze gibt. Aber selbst wenn diese universell sind, müssen sie nicht auf alles zutreffen. Es ist schlechter Wissenschaftsstil, in der Definition gleich etwas zu postulieren. Man sollte lieber vom Ende denken, vom Untersuchungsgegenstand und dessen Eigenschaften her.
Gesellschaft hingegen ist ein artifizielles, ein menschgemachtes Konstrukt, es herrschen Normen, Werte, Regeln, die auch noch abhängig sind von Konzepten wie Kultur, Ort, Zeit, Kontext, Mentalität etc. Insgesamt wirken Myriaden von Einflüssen. Reflexivität, als ein weiteres Unterscheidungsmerkmal, bedeutet hier, dass es einem natürlichen Teilchen mangels Bewußtsein egal ist, was ich über es sage. Es gehorcht Naturgesetzen. Treffe ich hingegen eine Aussage über Gesellschaft oder Teile davon, kann allein dies dazu führen, dass sie ihr Verhalten anpassen.

Stimmt ja, wobei "menschengemachtes Konstrukt" in eine Richtung führt, welche ich nicht so gut finde. Es ist nicht schlimm, wenn vielfältige Abhängigkeiten herrschen, die gibt es in der rein physikalischen Welt auch. So etwas wie fester Körper ist auch nur eine Näherung, man kann immer komplexere Wechselwirkungen betrachten.
Reflexivität hat oberflächlich eine gewisse Analogie zur Heisenbergschen Unschärferelation, aber ich will das gar nicht zu sehr betonen.
Menschen haben ein Bewußtsein (postuliert), aber damit sagt man überhaupt nichts darüber aus, wie sich typische Menschenmassen verhalten. Dies kann, trotz Bewusstsein, sehr vorhersagbar sein, weil sich Menschen anscheinend doch sehr regelmäßig Verhalten. Es ist natürlich schwer zu sagen, konditional zu welchen Einflussgrößen, welche von dir genannt worden, dieses Verhalten so stabil bleibt, wie es aktuell beobachtet werden kann. Aber wieso sollte dies selbst nicht eine Forschungsfrage sein?
Reflexivität ist auch nur ein Phänomen, es gibt bei der Betrachtung von aggregierten Größen auch so etwas wie self-averaging-Phänomene, welche nicht von der genauen Mikro-Ebene abhängen. Natürlich gibt es Grenzen bei der Mikro-Ebene, deren Überschreitung auch die Makro-Ebene verändern würde - aber solange man Reflexivität beschränken kann (via Annahme bzw. via Untersuchungen über typsiche reflexive Prozesse), solange kann man auch recht stabile Aussagen machen.
Die zweite Hoffnung gibt die Mathematik dynamischer Systeme. Es gibt auch Methoden so etwas wie Reflexivität zu beschreiben und Zeitskalen auszurechnen, auf denen Reflexivität in guter Näherung vernachlössigt werden kann, weil andere Einflussgrößen einen stärkeren Einfluss haben.

Ich will damit nur sagen, man muss den Kopf nicht in den Sand stecken. Sicher, theoretisch kann durch Reflexivität sehr viel schiefgehen, weil man spezielles Verhalten, welches bspw. dem self-averaging entgegenwirken würde, nie ganz ausschließen kann. Man kann aber dieses Eintreffen via Maßkonzentration beschränken. Je mehr Verhaltensänderungen wir beobachten, desto mehr werden wir auch darüber lernen, welche Verhaltensmerkmale von Reflexivität zumeist betroffen sind und welche Merkmale sich eher invariant verhalten. Natürlich könnten sich Menschen aufgrund dieser Erkenntnis genau anders verhalten, aber man beobachtet jetzt schon, dass dieses bestreben sehr gering ist.
Die Komplexität und Dynamik von Gesellschaft wird meinen Studenten spätestens dann klar, wenn ich sie auf die Bedeutung von einzelnen Personen auf globale Entwicklungen verweise: Alexander der Große, Cäsar, Hannibal, Napoleon, aber auch Hitler, Stalin, Bin Laden etc. Das Modell bzw. die Theorie will ich sehen, die individuelle Motivation berücksichtigen, geschweige denn vorhersagen kann.

Es ist auch nicht ganz fair Studenten als Beispiel zu bringen, die natürlich noch nicht so gut ausgebildet sind und auch erst einmal beeindruckt von einem bestimmten Gedanken. Ich kann Studenten auch mit dem Bendford'schen Gesetz, Zipf's Gesetz etc. beeindrucken oder mit der Sugar Scape Simulation über Gini-Koeffizienten.

Die Bedeutung der von dir angesprochenen Personen auf die Entwicklung ist natürlich erst eine ex post Betrachtung. Hier sollte man mehrere Überlegungen anstellen.
(1) Betrachtet man sich nur die Maxima eines stochastischen Prozesses, so können diese Ausreißer sehr groß sein, auch wenn der Prozess insgesamt sehr regulär verläuft. Es gibt halt immer mal Ausreißer. Die Frage ist daher, ob es sich um Ausreißer, oder um wirkliche Umschwünge gehandelt hat.
(2) Haben die Individuen wirklich solch einen großen Einfluss auf die Geschichte gehabt, oder waren es nicht tiefere zugrundeliegende Sachverhalte? Hatten die Hopliten zu Alexanders Zeit mit ihren langen Lanzen und robusten Schwerten vielleicht einfach militärisch den Persern weit überlegen? Die großen Gebietseroberungen von Alexander haben letztlich wenig geschichtlichen Einfluss gehabt, das persische Reich war ja schon recht schnell zerstört.
Bei Napoleon ist es ähnlich, eine Bürgerarmee mit Beförderung nach Fähigkeit vs. Adeligenbeförderung, dazu ein moderner Einsatz von Artillerie und Geschwindigkeit, der sich allerdings schon in der Militärtheorie abzeichnete. Letztlich waren die Beharrungskräfte nach Napoleon stärker, die Idee der französischen Revolution hat mehr bewirkt (man kann auch messen, wie sich Ideen ausbreiten).
Natürlich nimmt die Geschichte ihre Wendungen auch abhängig von solchen Ereignissen, aber die kann auch ein Geisteswissenschaftler mit anderer Methodik nicht besser vorhersagen (oder doch?). Es geht doch eher darum erst einmal die tieferen, stabileren Kräfte zu analysieren.

Wir werden in der retrospektive immer auf besondere Personen abstellen. Aber man muss ja auch berücksichtigen, dass ohne diese Personen andere geherrscht hätten, welche durch den Auswahlprozess zum Herrscher vielleicht ähnlich gehandelt hätten. Die genauen Windungen der Geschichte kann man so natürlich nicht rekonstruieren, aber dies ist ja auch keine sonderlich gut gestellte Frage. Man kann auch nicht die Augenzahl beim Würfeln vorhersagen, aber durchaus andere Kenngrößen, welche diesen prozess sehr gut beschreiben. Es wird immer mal Phasen geben, wo man 6x6 hintereinander würfelt - aber an was liegt das?
Erdbeben kann man auch weder (zeitlich) vorhersagen, noch die Stärke. Man kann allenfalls kritische Gebiete vorhersagen und weiß um eine Häufigkeitsverteilung der Stärke. Wenn man so an Geschichte geht und nicht versucht jedem Einzelereignis einen Sinn bzw. Determinismus zuzuschreiben, der wohl Überinterpretation ist, dann kann man auch viel mehr über den eigentlichen Prozess lernen.

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Tuesday, February 14th 2012, 10:18am

Die einseitige Fixierung auf naturwissenschaftliche Kriterien wie Testbarkeit/Falsifizierbarkeit von Aussagen und Ergebnissen zum Zwecke der Modell- und Theorievalidierung (was immer auch zum Ziel hat, Zukunftsprognosen treffen zu können) ist daher genauso unpassend, wie die einseitige Anwendung von geisteswissenschaftlichen Methoden wie z.B. der Hermeneutik oder der Dialektik, die ja dich so auf die Palme bringt. Für mich ist beides lediglich Ausdruck dogmatischen, und damit unwissenschaftlichen Denkens und einer unvollständigen Methodenausbildung und mangelnder Kenntnis über die eigene Wissenschaft.

Wieso ist dies genauso unpassend? Du hast bis jetzt nur auf Reflexivität und extreme Ereignisse abgestellt. Ich denke ich habe bei beiden guten Gegenargumente gebracht. Vor allem, manches ist vielleicht auch zu ambitioniert, wie gerade beschrieben. Die geisteswissenschaftlichen Methoden liefern ja auch keine besseren Antworten, bspw. bei den Personen. Die reine Existenzaussage, dass es so etwas geben kann, ist ja trivial.

Was du mir noch nicht beantwortet hast: Was ist denn das belastbare Wissen, welches man durch die geisteswissenschaftlichen Methoden erlangen kann? Kann man da wirklich sinnvoll von Wissen sprechen, darum geht es ja letztlich. Wenn eine Aussage über die Welt keinen Zustand der Welt ausschließt, dann weiß ich durch diese Aussage nicht mehr über die Welt. Das Gegenteil dieser Aussage schließt dann ja keinen Zustand der Welt ein, ich sage also: Alles ist möglich. Man sollte doch wenigstens stochastisch ausschließen, d.h. dass bestimmte Zustände so selten sind, dass ein gehäuftes Auftreten davon zum Widerspruch mit der Vorhersage führt.

Und letztlich müssen wir auch Zukunftsprognosen treffen können, weil man alleinig rückwärts gerichtete Beschreibungen nie wissen kann, ob die Erklärung gut oder schlecht ist, d.h. richtig oder falsch. Für die Vergangenheit eines stochastischen Prozesses kann ich trivial immer eine hochdimensionale Erklärung finden, welche in guter Approximation zutrifft. Man will doch aber eine niedrigdimensionale Approximation finden (hochdimensional können wir Menschen nun mal nicht wirklich denken), welche in guter Näherung für die Vergangenheit passt - und auch für die Zukunft. Dies kann echte, oder Pseudo-Zukunft sein, d.h. out-of-sample Testing.

Breiter ist nicht automatisch besser. Wenn ein breiterer Wissenschaftsbegriff auch Bereiche umfasst, bei dem aber eigentlich kein sinnvoller Wissensbegriff möglich ist, so sollte man halt den schmaleren, dafür aber auch leistungsfähigeren Begriff verwenden!
Ich glaube ein Problem in den Geisteswissenschaften ist, dass man eine Synthese generell besser findet. Man muss aber aufpassen, was die Antithese enthält und ob eine Mischung damit nicht wertvolle Eigenschaften der These zerstört.
Der historische Methodenstreit in den SoWi, mit den Gegensätzen Erklären (Naturwissenschaften) und Verstehen (Geisteswissenschaften), wird in den wirklich modernen SoWi sowieso pragmatisch mittels Methodenmix aufgelöst. Im Kern geht es in den SoWi als solchen also immer noch darum, dem Gegenstand angemessen Methoden zu entwickeln. Nichts anderes hat hier Rommel aber schon mehrfach gesagt.

Wie gerade gesagt, das Problem bei Methodenmix bleibt bestehen, wenn man im Methodenmix auch Methoden verwendet, welche notwendige Eigenschaften über Wissen nicht mehr aufrecht erhalten können.

Man sollte sich noch einmal die von mir als grundlegend genannten Fragen anschauen und davon ausgehend überlegen, wie man diese beantworten und was man folglich für Methoden einsetzen kann. Der Kern ist imho wirklich, dass man bei verschiedenen Methoden ganz grundsätzlich eine Aussagekraft über die Welt verliert bzw. kein Konstrukt mehr hat, um sinnvoll einen Wahrheitswert zuordnen zu können. Ich habe nichts gegen Intersubjektivität, man kann objektiv schließlich als Schnitt über jegliche Intersubjektivität betrachten - nur mann man hierbei ausschließen, dass es konkurierende intersubjektive Anschauungen gibt, sonst wäre obiger Schnitt leer. Da man ein beliebiges Axiomensystem wählen kann braucht es imho zwingend einen Rückgriff auf die externe Welt, die ja schließlich auch erklärt werden soll, um immer auch Konsistenz zwischen Intersubjektivität und realer Welt herzustellen. Damit meine ich folgendes: Man muss die Aussagen, welche aus dem intersubjektivitäten Aussagen bzgl. eines gewählten Axiomensystems als wahr ausgezeichnet werden, auch immer an der Realität testen, um so letztlich Axiomenysteme verwerfen zu können, welche nicht mit der Realität in Einklang zu bringen sind.

Am Ende muss man imho fähig sein, zwischen konkurrierenden Erklärungen der Welt diskriminieren zu können, bspw. einer modernen wissenschaftlichen Erklärung und einer mystischen Erklärung. Man benötigt daher auch so etwas die Prognosegüte, da man sonst innerhalb eines schlecht gewählten Axiomensystems unter Umständen überhaupt keine Verbindung zur realen Welt mehr herstellt, d.h. die Qualität von Aussagen auch nie an der realen Welt überprüfen kann. Daher sollte man zumindest fordern, dass der Wahrheitsgehalt von Aussagen prinzipiell (mit Rückgriff auf reale Daten) überprüfbar ist.

Ich sehe nicht, dass reale Daten so subjektiv sind, dass man daran scheitern könnte. Aber wenn dazu nähere Kritik kommt, gehe ich darauf auch gern ein.

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Tuesday, February 14th 2012, 1:57pm

Meine Güte Worf, lerne bitte bitte Dich pointiert auszudrücken. Du bist schlimmer ja als jeder Geisteswissenschaftler! tl;dr.

Ich sehe da keine stichhaltigen Argumente gegen Reflexivität oder gegen "extreme Ereignisse". Der Punkt war, dass niemand wissen kann, inwiefern eine bestimmte historische Person austauschbar wäre. Du relativierst das, kannst es aber eben nicht widerlegen. Ein stichhaltiges Gegenargument sieht anders aus. D.h., es ist nicht einmal ex-post zu erklären, welche Rolle z.B. Hitlers Wille/Bewusstsein/Geist gespielt hat. Wo wir wieder beim anderen Punkt wären, den Rommel hier auch schon zigmal gemacht hat, den du aber fleißig ignorierst (oder nicht kapierst): SoWi als historisch jüngste Wissenschafts-"Sparte" hat (noch) keine eigene Methode, weil die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes dafür sorgt, das weder die naturwissenschaftlichen noch die geisteswissenschaftlich Methoden problemlos darauf angewendet werden können. Methodenmix ist eine Art, damit umzugehen, der Versuch der "Approximation an ein noch zu findendes Optimum", wie Du vielleicht sagen würdest, aber eben nur eine.

Du vertrittst hier eine radikal-reduktionistische Position aus den 60er Jahren, basierend auf der Prämisse, dass Gesellschaft im Grunde durch Mikrophysik nicht nur erklärbar, sondern auch vorhersagbar wäre. Daraus schlussfolgerst Du, dass nur naturwissenschaftliche Methoden zu wissenschaftlicher Erkenntnis führen, Geisteswissenschaften Quatsch sind und alle SoWi gefälligst Deduktivismus und Falsifikation betreiben sollen, wenn sie zur Wissenschaft zählen wollen.
Jetzt stellt Dir vor, es gibt Leute, sogar ziemlich viele, die teilen Deinen Glauben (und nichts anderes ist es) nicht und finden allein schon die Prämissen und Deine Definition von Wissenschaft nicht stichhaltig, geschweige denn bedeutend, dann löst sich Deine ganze schöne Argumentationskette in Luft auf. Dieser fast schon zwanghafte Wunsch nach einem Konstrukt/Modell/Theorie zur Erklärung der Welt war mir schon immer suspekt, das hat etwas von religiösem Eifer in meinen Augen. Ich für meinen Teil will die Welt nicht nur erklären, sondern auch verstehen können.

Du solltest Dich dringend ein wenig mehr mit der Debatte um die "Scientific Method" beschäftigen, es verhärtet sich bei mir der Verdacht, dass Du zwei-drei Wikipedia-Artikel gelesen hast, aber im Grunde weder die mittlerweile historisch Debatte seit den 50er Jahren auch nur kennst noch das Problem durchdrungen hast. Hier mal ein paar Schlagwörter zur anfänglichen Recherche: Popper, Kuhn, Fodor, Reduktionismus, Deduktion, Induktion. Das würde uns allen viel Text deinerseits sparen. Ein schöner Einstieg: In Our Time vom 26.01.2012

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Tuesday, February 14th 2012, 10:36pm

Meine Güte Worf, lerne bitte bitte Dich pointiert auszudrücken. Du bist schlimmer ja als jeder Geisteswissenschaftler! tl;dr.

Der Punkt ist, dass man das alles nicht viel kürzer audrücken kann. Wenn ich mich pointierter Ausdrücke, würde ich wahrscheinlich viele falsche Aussagen machen, was ich nicht will. Man sieht ja sehr oft, dass viele deiner Aussagen trivial falsch sind, weil du dich einfach zu ungenau ausdrückst.
Ich sehe da keine stichhaltigen Argumente gegen Reflexivität oder gegen "extreme Ereignisse". Der Punkt war, dass niemand wissen kann, inwiefern eine bestimmte historische Person austauschbar wäre. Du relativierst das, kannst es aber eben nicht widerlegen. Ein stichhaltiges Gegenargument sieht anders aus. D.h., es ist nicht einmal ex-post zu erklären, welche Rolle z.B. Hitlers Wille/Bewusstsein/Geist gespielt hat. Wo wir wieder beim anderen Punkt wären, den Rommel hier auch schon zigmal gemacht hat, den du aber fleißig ignorierst (oder nicht kapierst): SoWi als historisch jüngste Wissenschafts-"Sparte" hat (noch) keine eigene Methode, weil die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes dafür sorgt, das weder die naturwissenschaftlichen noch die geisteswissenschaftlich Methoden problemlos darauf angewendet werden können. Methodenmix ist eine Art, damit umzugehen, der Versuch der "Approximation an ein noch zu findendes Optimum", wie Du vielleicht sagen würdest, aber eben nur eine.

Mein Argument war, dass man Reflexivität nicht vor sich hertragen muss als Ausrede, vieles nicht zu versuchen. Der Punkt, denn du gemacht hast war übrigens nicht, dass man nicht weiß, ob man bestimmte historische Personen austauschbar wären. Dein Punkt war, dass du bekannte historische Personen genannt hast, welche mutmaßlich das Weltgeschehen beeinflusst haben. Ich sage dann, dass die nicht so wichtig ist. Wenn man sich auf zugrunde liegende Variablen konzentriert, so werden diese selbst durch extreme Ereignisse (Alexander der Große) kaum berührt. Hier ist die Analogie zu stochastischen Prozessen hilfreich. Ich kann nicht ex ante vorhersagen, wann Extrema auftreten. Aber ich kann vielleicht die Häufigkeit bestimmter Extrema vorhersagen bzw. die Häufigkeit von extremen Ereignissen, welche die zugrunde liegenden Variablen um mehr als x% verändern.
Natürlich ist ex post nicht zu erklären,w as Hitler gemacht hat - es war eine Einzelperson, du hast keinerlei (oder nur minimale) Invarianz in der Frage. Die Fragegestellung sit also schon in sich schlecht definiert. Natürlich kann man solche Fragen stellen und versuchen zu benatworten - aber bevor man dies tut, sollte man sich doch abstrakt überlegen, ob es überhaupt sinnvolle Antworten auf diese Art von Fragen geben kann bzw. was Eigenschaften an Antworten sein müssen, damit man sie als sinnvoll ansieht.
Hier kommen wir wieder zu dem Punkt, was echtes Wissen eigentlich sein kann bzw. sein muss.

Ich verstehe tatsächlich nicht, was du mit eigener Methodik in der SoWi meinst. Ich kritisiere doch gar nicht, dass sich bestimmte Methoden eventuell noch nicht entwickelt haben, ich kritisiere viel grundsätzlicher. Zuallererst kritisiere ich eine bestimmte Wissenschaftsphilosophie. Als zweites kritisiere ich die Art der Fragestellungen. Als drittes erst die Methodik. Die folgt ja aus (1) und (2). Ich kritisiere im Endeffekt, dass man in den Sozialwissenschaften eine imho doofe Methodik anwendet, weil man die falschen Fragen stellt oder noch vorher nicht weiß, was überhaupt sinnvolle Fragen sind. Wenn ich bestimmte Fragen sowieso prinzipiell nicht sinnvoll beantworten kann, dann wird es natürlich besser durch Textanalyse etc. versteckt. Am meisten kritisiere ich, wenn man letzteres sogar wissentlich macht und darin auch noch eine Stärke der SoWi sieht. Dies bedeutet, man löst sich wissentlich davon entscheidbare Fragen, d.h. eigentliches Wissen, zu stellen. Dann zählt in einem ersten Schritt nur noch Konsistenz mit anderen Texten, als nächstes kommt generelle Beliebigkeit. Dies drückt sich dann wissenschaftsphilosophisch in einer leichten oder starken Form von Skeptizismus aus, die man unweigerlich entwickeln muss. Die heißen heutzutage nur Postmoderne oder Konstruktivismus, haben aber die von mir gerade aufgezählten negativen Eigenschaften.
Du vertrittst hier eine radikal-reduktionistische Position aus den 60er Jahren, basierend auf der Prämisse, dass Gesellschaft im Grunde durch Mikrophysik nicht nur erklärbar, sondern auch vorhersagbar wäre. Daraus schlussfolgerst Du, dass nur naturwissenschaftliche Methoden zu wissenschaftlicher Erkenntnis führen, Geisteswissenschaften Quatsch sind und alle SoWi gefälligst Deduktivismus und Falsifikation betreiben sollen, wenn sie zur Wissenschaft zählen wollen.

Du schreibst hier echt Quatsch mit deiner Behauptung, was ich sagen würde. Erst sagst du selbst, du hast nicht (alles) gelesen, was ich geschrieben habe - dennoch äußerst du dann so einen Quatsch. Genau nicht durch Mikrophysik, d.h. nicht durch Mikrofundierung! Ansonsten sage ich nur, man darf prinzipiell Vorhersagbarkeit als Ziel bzw. zur Validierungsmöglichkeit bzw. auch nur zur Falsifikation nicht aufgeben, weil man ansonsten imho zu viele wünschenswerte Eigenschaften an Wissen verliert, siehe meine Ausführungen dazu.
Ansonsten ist es natürlich rein wissenschaftlich völlig unerheblich, wann eine bestimmte Position vertreten wurde. Du erwähnst es doch nur, um diese Position zu diskreditieren. Aber da deine Prämisse nicht stimmt bzw. ich es komplett anders sehe, als du in deiner Prämisse postulierst, ist es eh egal, da es dann ein Gegenargument gegen irgendwas anderes ist, aber nicht gegen meine Position. :P
Dem letzten Rest würde ich zustimmen. Aber wie gesagt, man muss sehen, wie ich darauf komme. Die Beliebigkeit der oben genannten modernen Denkrichtungen ist für mich ein schlechtes Beispiel. Um diese probleme anzugreifen, muss man sich noch einmal ganz grundlegend überlegen, was Wissen ist und was es nur sein kann. Der Rest ergibt sich, dem folgend. Wenn man die Frage nach Wissen so wie ich beantwortet, dann folgt imho ziemlich direkt das, was ich vertrete, in leichten Variationen. Die Frage ist also wirklich, was will man alles als "Wissen" zulassen bzw. welche Eigenschaften soll "Wissen" haben?

Aus meiner Sicht lassen die Geisteswissenschaften viel schwächere Formen von Wissen zu, was ich nicht mehr Wissen nennen würde. Sie müssen dies aber quasi tun, weil sie bestimmte Arten von Fragen stellen. Meiner Meinung nach fehlt da ein Problembewußtsein, weil man es schon immer so gemacht hat. Es wäre ja auch sehr schmerzhaft, einen Großteil der Schriften entrümpeln zu müssen.

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Tuesday, February 14th 2012, 10:36pm

Jetzt stellt Dir vor, es gibt Leute, sogar ziemlich viele, die teilen Deinen Glauben (und nichts anderes ist es) nicht und finden allein schon die Prämissen und Deine Definition von Wissenschaft nicht stichhaltig, geschweige denn bedeutend, dann löst sich Deine ganze schöne Argumentationskette in Luft auf. Dieser fast schon zwanghafte Wunsch nach einem Konstrukt/Modell/Theorie zur Erklärung der Welt war mir schon immer suspekt, das hat etwas von religiösem Eifer in meinen Augen. Ich für meinen Teil will die Welt nicht nur erklären, sondern auch verstehen können.

ich sagte doch, es hängt an der Definition von Wissen. Aber wenn du meine Beiträge nicht liest, dann redest du eben leicht an mir vorbei.
Nur komm doch mit einer anderen Definition bzw. Erklärung, wieso es sinnvoll ist den Wissensbegriff auszuweiten. Ansonsten geht es insofern um Glauben, als es Wissenschaftsphilosophie ist. Aber den gesamte Untersuchungsgegenstand beschäftigt ja, welche Form des Glaubens sinnvoller ist. Einen naiven Skeptizismus kann man prinzipiell nicht entkräften, aber ist er denn sinnvoll? Die allermeisten würden hier mit nein antworten. Die Diskussion geht also darum, welche wissenschaftsphilosophische Ausrichtung die sinnvollsten (wünschenswertesten) Eigenschaften hat.
Du solltest Dich dringend ein wenig mehr mit der Debatte um die "Scientific Method" beschäftigen, es verhärtet sich bei mir der Verdacht, dass Du zwei-drei Wikipedia-Artikel gelesen hast, aber im Grunde weder die mittlerweile historisch Debatte seit den 50er Jahren auch nur kennst noch das Problem durchdrungen hast. Hier mal ein paar Schlagwörter zur anfänglichen Recherche: Popper, Kuhn, Fodor, Reduktionismus, Deduktion, Induktion. Das würde uns allen viel Text deinerseits sparen. Ein schöner Einstieg: In Our Time vom 26.01.2012

Ach nee. ^^ Immer wieder nett, wie du versucht mich zu diskreditieren. Zu den ganzen von dir genannten Stichworten, außer Fodor, kann ich dir viel erzählen. Das Induktionsproblem, neben anderen, habe ich sogar hier im Thread verlinkt, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Aber dafür müsste man ja die Texte gelesen haben, um sinnvoll mitreden zu können...
Im übrigen ist ja allein schon die Historie des Induktionsproblems so umfangreich und vielschichtig, dass ein Stichwort da eigentlich viel zu wenig ist.

Mal ernsthaft, das Fehlen von Argumenten gegen meine Hauptpunkte deinerseits. Was ich speziell zur Handhabung des Reflexivitätsproblems geschrieben habe, zu Universalität und Makro-Verhalten, Handhabbarkeit von dynamischen Systemen etc., darauf bist du überhaupt nicht eingegangen und wischst es nur, typisch Geisteswissenschaftler, weg. Das Probleme bestehen sagt ja noch nichts über deren Umfang und damit über den relativen Einfluss auf das Modell/Ergebnis insgesamt. In den Naturwissenschaften ist man halt eher trainiert mit solchen Shortcomings umzugehen und zumindest zu versuchen deren Einflüsse zu beschränken - egal, ob es sich nun um dynamische Systeme mit leblosen Partikeln, oder mit Menschen handelt. Es ist für sich alleine kein Argument, dass es sich um Menschen handelt, man weiß ja a priori nicht wirklich etwas über Unterschiede. Aber natürlich ist dies wiederum keine geisteswissenschaftliche Betrachtungsweise, sondern sie kommt eher aus den Naturwissenschaften. Dieses gewissermaßen im positiven Hemdsärmliche fehlt imho den SoWi und Geisteswissenschaften.

60

Tuesday, February 14th 2012, 10:50pm

Meine Güte Worf, lerne bitte bitte Dich pointiert auszudrücken. Du bist schlimmer ja als jeder Geisteswissenschaftler! tl;dr.

Der Punkt ist, dass man das alles nicht viel kürzer audrücken kann. Wenn ich mich pointierter Ausdrücke, würde ich wahrscheinlich viele falsche Aussagen machen, was ich nicht will. Man sieht ja sehr oft, dass viele deiner Aussagen trivial falsch sind, weil du dich einfach zu ungenau ausdrückst.


haha genau worf, so wirds sein. :stupid:

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