(...) Aber immerhin komme ich dazu, liegengebliebene Mails zu lesen. Besonders freut mich das Lebenszeichen eines mit mir seit der Schulzeit befreundeten Forschers. Momentan ist er auf Ecuador und beobachtet Epiphyten. Das sind ganz liebe Pflanzen, die, fernab von Schmarotzertum oder symbiotischen Hintergedanken, auf anderen Pflanzen wachsen. Einfach nur aus Geselligkeit. Ich glaube, dass Nils – so heißt der Forscher – sich diese Pflanzen ausgesucht hat, weil sie ein bisschen sind wie er. In seinem Brief berichtet er über eine nordamerikanische Forscherkollegin, die im Dschungel, aus Verzweiflung über den Zustand ihres kranken Hundes, einer Hexe konsultierte. In der Höhle oder Praxis soll es zu folgendem, hier stark gekürztem, Dialog gekommen sein (H steht für Hexe, F für Forscherin, Regieanweisungen in Klammern):
H: Warum bist Du zu mir gekommen
F: Jemand, der mir sehr nahe steht, ist sehr, sehr krank
H: Aaah. Hmmm...Du hast vielleicht gehört: ich reinige mit Meerschweinchen. Wir können es mit EINEM Meerschweinchen versuchen, aber ich sage Dir gleich: Mit zweien wirkt es sicherer.
F: Ja, ja, okay. Wie viel kostet das dann.
H: 20 $
F: Na, Gut
H: Zieh Dich bis auf die Unterwäsche aus.
(F. zieht sich aus. H. nimmt ein weißes Mehrschweinchen, klopft damit auf dem Körper der Patientin herum und schlägt es dann mit voller Wucht auf einen Stein. Sie will ein zweites, braunes, Meerschweinchen nehmen, ein leises Quieken hält sie davon ab)
H: Uui, das Weiße lebt noch. DAS ist ein gutes Zeichen!
(H. prügelt das weiße Mehrschweinchen auf dem Leib von F. endgültig tot. Sie wiederholt die Prozedur mit dem braunen. Anschließend berührt sie mit einem aus der Wand gerissenen Stromkabel F.s Hand)
BUFFF!
H: Welche Farbe hast du gesehen?
F: Äääh, hmmm, äh... rot?
H: Uh, dass ist schlecht!
(H gibt F einen weiteren Stromschlag)
TSCHAWUMMM!
H: Was hast Du jetzt für 'ne Farbe gesehen?
F: Äh, so was wie blau.
H: Aaah, sehr gut. Sehr gut. Aber jetzt nimm das hier und zieh das an.
(H reicht F eine sehr altmodische und sehr große gelben Unterhose)
Und zieh nie wieder, nieee wieder diese schwarze Unterwäsche an, die du trägst. Das ist das Schlimmste was du tun kannst, schwarze Unterwäsche. Nie wieder, hörst du?!?
Nils schließt seinen Bericht mit dem Hinweis, der Hund sei zwei Tage später verschieden, so wie mit einigen hämischen Spitzen gegen die Hexe. Mir persönlich kommen nach Beendigung der Lektüre zwei Gedanken.
1. Die Geschichte hätte zweifellos an dramatischer Ironie gewonnen, wäre die Forscherin wegen einer schweren Krankheit ihres geliebten Meerschweinchens zur Hexe gekommen.
2. Als ich ein Baby war, gab es eine viel gefeierte Neuerung im Bereich brustloser Säuglingsernährung: das Miltonbad. Angefüllt mit einer sagrotanähnlichen Flüssigkeit, sollte es die völlige Keimfreiheit der in ihm zu reinigenden Fläschchen sicherstellen. Kaum war ich auf feste Nahrung umgestiegen, stellte sich heraus, dass die Anwendung des Miltonbades einer Art schleichenden Vergiftung nahe kam, und diese hysterische Vorrichtung verschwand von der Erde. Nun hat mir das alles "weiß Gott nicht geschadet", und ich möchte weder dem fleißigen Milton noch meiner Mutter vorwürfe machen. Ich möchte aber doch die Frage stellen, ob der Glaube, man könne einen Hund heilen, indem man auf Frauchen ein Mehrschweinchen zerdeppert, so viel abstruser ist, als die Annahme, es wäre gut, ein neu geborenes Kind von innen zu desinfizieren. Und ich möchte auch gleich darauf antworten: Ja, ist er.