@bastrup: thema individuelle freiheit vs gemeinschaftswohl
um dir versuchsweise die differenzierte antwortskizze zu geben, die du anscheinend andernorts (vielleicht nicht ganz grundlos) vermisst (obwohl - man kratzt halt umständebedingt auch hier nur an der oberlfäche):
rauchverbot
an meinem bespiel: ich bin selbst raucher und akzeptiere rauchverbote wenn sie für mich sinnvoll und nachvollziehbar sind.
beispiele: es macht sinn, am arbeitsplatz nicht zu rauchen, da für nichtraucher schutzvorkehrungen hier kaum zu bewerkstelligen sind. ähnliches mag für rauchverbote in öffentlichen räumen gelten.
bei gaststätten ist es für mich nachvollziehbar, wenn die nobel-gastronomie argumentiert, dass der genuss hochqualitativen essens durch zigarettenrauch beeinträchtigt wird. wenn allerdings bei uns die fastfood-ketten und schnellimbisse, die mithin die bevölkerung mit dem fettlastigsten und ungesundesten essen versorgen, auch meinen, es gehe ihnen um genuss und gesundheit, ist das für mich blanke ironie.
bei clubs, discos, bars: hier muss rauchen weiterhin möglich sein. ob man das mit speziellen raucherräumen löst oder in nichtraucher und raucher clubs differenziert ist mir einigermassen egal.
tatsache ist, dass es nach wie vor sehr viele raucher gibt, und auch diese haben rechte (auch, wenn dieses darin besteht, sich selbst zu schädigen). Von einer differenzierten behandlung, die auch diese rechte der raucher berücksichtigt, sehe ich in der politik nichts.
"dicke"
ein soziologe hat vor einigen jahren schon fast visionär vorausgesagt, dass die anti-raucherkampagnen erst dann erfolgreich sein werden, wenn sie aufhören raucher therapieren zu wollen und vielmehr die nicht-raucher mobilisieren. dies findet statt und ist erfolgreich.
er hat weiter prophezeit, dass nach dem krieg gegen die raucher die "dicken" die nächste zielscheibe gesellschaftlicher kritik sein werden (letzte woche in den usa eingeführt: schlankheitspille für den hund).
was zurzeit stattfindet: us fluggesellschaften entwickeln preismodelle, bei welchen übergewichtige mehr zahlen als schlanke. krankenkassen überlegen, wie sie die schlechten risiken, die dicke nunmal darstellen, auf diese überwälzen können.
nun: "dick" sein ist ungesund, aber dicke schaden den schlanken ja nicht derart (ausser zb bei krankenkassenprämien), wie raucher den nicht-rauchern.
eine feine und wichtige differenz geht hier bereits verloren.
und irgendwann: da politik funktioniert, wie sie funktioniert (namentlich zyklisch, kurzfristig, effekthascherisch) und medien funktionieren, wie sie funktionieren (akzelerierend, dramatisierend, plakativ) wird es immer "irgendwas" geben, dass "schlecht" ist und durch die "gesellschaftliche vernunft" korrigiert werden muss.
irgendwann - und als beispiele lassen sich heute schon die usa und australien besichtigen - sind wir in der welt, wie sie die dystopien von robo cop (übrigens eine vision von frank miller) bis demolition man darstellen, und die wir so lustig finden.
schrittweise, langsam, aber immer in dieselbe richtung. computerspiele (oder kampfhunde) sind dabei nur ein nebenkriegschauplatz, und wie sehr das angeblich wahre und von den medien gefeierte (à la killerspiele töten), auf das sich dann politiker beziehen, wenn sie ihre massnahmen verkünden, sich von der realität unterscheidet, können hier alle beurteilen.
und bastrup:
wenn man sagt (ich verstehe dich so), dass das einzelne individuum zu egozentrisch, asozial o.ä. geworden ist, um mit seiner persönlichen freiheit umzugehen, finde ich es sehr eigenartig, dann als korrektives kompensat die summe dieser verantwortungslosen individuen heranziehen zu wollen.
persönlich muss ich sagen, dass die moderne gesellschaft sich ihrer demokratiefähigkeit zunehmend selbst entledigt. die bespiele sind hier vielfach diskutiert: man kann zB die us präsidentschaft faktisch fast kaufen. man kann als politiker wähler anlügen (und sich auch dazu bekennen), und bleibt ungestraft. etc.
in jedem fall: es gibt ein raucherproblem. es gibt auch ein fettleibigkeitsproblem. aber es gibt auch asbest, das ozonloch, drohende atomkriege, verschwindende regenwälder, verhungernde kinder, arbeitslose etc.
mir scheint bei alldem, dass man nur auf die probleme losgeht, die man einfach lösen kann - auch wenns eher die kleinen sind. das erspart einem dann, die grösseren, schwierigeren probleme anzupacken.
mahnend auf andere zu zeigen und dann noch mit höherer, gesellschaftlicher vernunft zu argumentieren, damit hab ich - und ich glaube nicht ganz grundlos - mühe.
Extrem formuliert: diverse politische massnahmen scheinen mir heutzutage schlicht so dumm, dass ich als bürger keine lust verspüre, mich nach ihnen zu richten. Und wenn in demokratien sich hinter diesen massnahmen die gesellschaftliche vernunft befinden sollte, dann habe ich auch keine lust, mich nach ihr zu richten.
Vielleicht indes: vielleicht gibt es eine differenz zwischen dem, was die gesellschaftliche vernunft will, und dem, was die politik tut. Dann müsste man sich allerdings fragen, warum dies so ist und wahrscheinlich feststellen, dass die gesellschaftliche vernunft passiv, dumm, ungebildet, desinteressiert und unzuverlässig geworden ist.
Die letzte einsicht wäre dann wahrscheinlich, dass, wenn die bevölkerung sich selbst entmündigt, kaum einzusehen ist, warum man sich dann noch an ihr orientieren sollte. Und vor allem nicht, warum politik, die eh tut was sie tut (und was nicht selten kaum nachvollziehbar ist), das entstandende vakuum füllen sollte.
aber das sind alles "sehr grosse themen", die an dieser stelle wahrscheinlich nicht einmal sinnvoll diskutiert werden können.