"Absurdes Theater"
Wallraff weist neue Stasi-Vorwürfe zurück - Birthler: "Geringes Problembewusstsein"
Der Schriftsteller Günter Wallraff hat die neuen Stasi-Vorwürfe als "absurdes Theater" zurückgewiesen. Er habe nie aktiv mitgearbeitet und sei auch nie angeworben worden, sagte er am Donnerstag im WDR. Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, hat Wallraff unterdessen ein "sehr geringes Problembewusstsein" und eine "unkritische Nähe zur DDR" vorgeworfen.
04.09.2003
Hintergrund
Dokumentation: Die Stasi über Wallraff
Porträt: Fremde Identitäten
und gefährliche Rollen
Die Behörde für Stasi-Unterlagen hatte mitgeteilt, Wallraff sei von der DDR-Staatssicherheit als inoffizieller Mitarbeiter geführt worden.
"Nie einer Ideologie angehört"
Der Schriftsteller bekräftigte, er habe zwischen 1968 und 1971 DDR-Archive für seine Arbeit genutzt. Ein DDR-Führungsoffizier habe offenbar eine Akte angelegt. "Aber dieser so genannte Führungsoffizier, der hat Akten geführt, aber nicht mich." Es werde ihm gelingen, seine Unschuld zu beweisen, erklärte der Autor. Für Montag (11 Uhr) kündigte er eine Pressekonferenz in Köln an.
Er verwies darauf, dass er von der DDR-Staatssicherheit als Feindperson betrachtet worden sei. Nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 sei er observiert und bespitzelt worden und habe auch keine Einreisegenehmigung für die DDR mehr bekommen. "Ich habe nie (...) einer Ideologie angehört. Und was die DDR betraf, habe ich schon sehr früh denen gegenüber klargestellt: Würde sich in diesem System leben und arbeiten müssen, dann wäre ich ein verfolgter Schriftsteller." In der "Tageszeitung" sprach er von "alten falschen Vorwürfen".
"Geringes Problembewusstsein"
Unterdessen hat die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Marianne Birthler, Wallraff in Bezug auf seine Stasi-Akten ein "sehr geringes Problembewusstsein" vorgeworfen. Es stelle sich die Frage, wie Menschen in der alten Bundesrepublik eine so unkritischer Nähe zur DDR haben konnten und sich sogar mit der Staatssicherheit gemein gemacht hätten, sagte Marianne Birthler am Donnerstag im Nachrichtensender n-tv.
Dass die Stasi erfunden habe, was Wallraff geliefert habe, "würde wirklich ein Einzelfall sein", sagte Birthler. "Nach all unseren Erfahrungen hat die Stasi in Bezug auf solche Punkte sehr präzise gearbeitet." Wallraffs Vorwürfe, in der Stasiunterlagen-Behörde gebe es zwei Fraktionen, die das Material über ihn unterschiedlich bewerteten, wies Birthler zurück. "Das scheint mir mehr über Wallraff zu erzählen als über unsere Behörde." Von "Fraktionierungen" habe sie nichts gespürt. "Möglicherweise kann sich Herr Wallraff die Welt nur so erklären".
Nach Birthlers Einschätzung hat die Stasi Wallraff als sehr wichtigen Mann angesehen. Sie habe ihn immerhin in der so genannten Mobilisierungskartei erfasst. "Und dort landeten nur Leute, die für die Stasi von ziemlich großer Bedeutung waren", sagte Birthler.
Stasi-Experte: Eindruck erhärtet
Der Sprecher der Birthler-Behörde, Christian Booß, erklärte im MDR, man habe sechs Informationseingänge, die "eindeutig dem Vorgang Wagner" alias Wallraff zuzuordnen seien. Es gebe auch einen Bericht, "in dem von Anwerbung und einer nachrichtendienstlichen Verbindung" die Rede sei. Booß sagte laut MDR: "Da muss man daraus schließen, dass auch dem IM bekannt wurde, mit wem er es zu tun hatte".
Der Stasi-Experte Hubertus Knabe sagte der "Tageszeitung": "Das gefundene Material erhärtet den Eindruck, dass Wallraff als IM gearbeitet hat." Es gebe einen Statistikbogen, auf dem die Stasi Ende 1988 festgehalten habe, auf wen sie sich im Kriegsfall verlassen könne. Dort tauche der IM "Wagner" auf. Auf diesen Namen sei nur eine einzige Person registriert. "Die heißt Günter Wallraff", wird Knabe zitiert. Noch bis 1987 habe Wallraff bei Reisen in die DDR "bevorzugte Grenzabfertigung" genossen, "ohne Kontrolle und Zwangsumtausch".
Die Birthler-Behörde hatte am Mittwoch erklärt, eine gründliche Überprüfung der Unterlagen über Wallraff habe ergeben, dass die von der Behörde bislang getroffene Feststellung, es gebe keine hinreichenden Hinweise auf eine IM-Tätigkeit des Autors, nicht aufrechterhalten werden könne. Die neuen Informationen wurden in den so genannten "Rosenholz"-Dateien gefunden. Dabei handelt es sich um elektronisch gespeicherte Karteikarten der in der DDR für die Auslandsspionage zuständigen Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), die erst kürzlich zur Nutzung freigegeben wurden.
Zwei Fehler in Kennnummern, die bei der Aufnahme in eine Recherchedatenbank bei der CIA und schon bei der Eingabe durch die Stasi passiert waren, hatten die eindeutige Zuordnung Wallraffs bislang verhindert. Aus der Rosenholz-Datei und dem Auskunftsbericht ergibt sich, dass Wallraff von 1967 an für die Abteilung X der für die Auslandsspionage zuständigen Stasi-Hauptverwaltung Aufklärung erfasst war. 1968 wurde er als IM "Wagner" registriert. In der Rosenholz-Datei wird er als "A-Quelle" bezeichnet. Das bedeutet, dass er andere Personen "abschöpfte".
"Falsche Jahreszahl"
Mit Hilfe der Rosenholz-Daten konnten jetzt auch Daten des Stasi- Informationsauswertungssystems SIRA Wallraff zugeordnet werden. Eine falsche Jahreszahl, die sich bei der Erstellung der von der CIA in Auftrag gegebenen Recherchedatenbank eingeschlichen hatte (485/63 statt 485/68) und ein "R", das ein Stasi-Mitarbeiter anstelle eines Schrägstriches in einer Codierung verwendete, verhinderten die Zuordnung Wallraffs zu bestimmten Berichten.
Nach der neuen Aktenlage berichtete Wallraff unter anderem über die Bayer AG Leverkusen und über Forschungsarbeiten westdeutscher Wissenschaftler. Seine Informationen wurden auch an die Sowjetunion weitergeleitet. Sie wurden mit "Vertraulichkeit 2" behandelt, was als sehr hohe Einstufung gilt
Quelle: heute online